Leicht wie ein Flirt sollte es sein – ein amouröses Abenteuer

Foto: ©TEUBNER Verlag/Fotograf: Jörg Lehmann

Hauchdünn geschnittenes rohes Rinderfilet auf dem Teller, dazu kalt gepresstes Olivenöl, fein gehobelter Parmigiano Reggiano und ein Korb mit herrlich knusprigem Weißbrot. Jetzt noch eine kleine Umdrehung aus der Pfeffermühle über dem Gericht – perfekt. Das ist Dolce Vita in Reinkultur, das lässt man sich auf der Zunge zergehen.

Der Namenspate

Aber dafür muss zunächst einmal die Basis stimmen: Carpaccio – wie hat so etwas überhaupt auszusehen? Vor über 60 Jahren wünschte sich die Contessa Amalie Nani Mocenigo ein Gericht, das „so leicht ist wie ein amouröses Abenteuer und so kapriziös wie ein Schmetterlingsflügel“. Giuseppe Cipriani, Besitzer von Harry‘s Bar in Venedig, kreierte für die Contessa ein Gaumenerlebnis der besonderen Art: hauchdünn geschnittenes Ochsenfilet mit einem Tupfer Salsa Universale. Die Kreation nannte er dann Carpaccio, nach dem venezianischen Maler Vittore Carpaccio, der für seine dünnen Farbschichten bekannt war. Diese „kulinarische Schöpfung“ ging international auf Reisen, und in jedem Land und in jedem Restaurant bietet diese Cipriani-Erfindung reichlich individuelle Kreativität, um wiederum Neues, Innovatives hervorzubringen.

Hauchdünn und mariniert – es ist angerichtet

Heute weiß der Gast bei der Bestellung eines Carpaccios, dass es sich um eine Speise handelt, bei der Fisch, Wild, Früchte und Gemüse, hauchdünn geschnitten und mariniert, auf dem Teller angerichtet sind. Das muss zwar in keiner „Vergewaltigung“ traditioneller Speisen enden, wie z. B. einem (von der Autorin verzehrten) „Semmelknödel-Carpaccio mit Pesto und Parmesan“, das am besten auch weiterhin schlichtweg als bayerischer Essigknödel-Salat serviert werden sollte. Es ist aber immer interessant zu sehen, dass die Anrichteweise der hauchdünn geschnittenen Zutaten dem individuellen Kreativitätstrampolin der Köche reichlich genießerische Hochsprünge offeriert. „Bitte, bitte, nicht einfrieren“, sagt Valter Mazza, Inhaber vom Ristorante Ponte, „Es ist eine absolute Katastrophe, was einem unter dem Namen Carpaccio so alles unterkommt.“ Mazza erzählt, dass das rohe Filet, ob nun vom Rind, Kalb oder Reh, von absoluter Spitzenqualität sein und frisch und dünn ausgeklopft werden muss. Wesentlicher Bestandteil dabei ist Zitronensaft, der in Liaison mit Olivenöl das rohe Fleisch so zart mariniert, dass es im Prinzip gar nicht mehr roh ist. Auf Mazzas Tageskarte findet sich z. B ein Lachscarpaccio, das roh geschnitten auf einen heißen Teller gelegt wird. Die Hitze gart das Fischfilet zart an, dann wird tröpfchenweise Avocadomarinade mit Senf, Kapern, Frühlingszwiebeln und Petersilie darüber geträufelt. „Carpaccio kann hundertfach kombiniert werden, ob mit Pilzen, Tomaten, Basilikum oder mit Schwertfisch, Wolfsbarsch oder Lachs. Voraussetzung für eine gute Carpaccio-Qualität ist die absolute Frische“, resümiert Valter Mazza. Dass immer wieder eingefrorenes Fleisch auf der Aufschnittmaschine landet – und der Gast somit unangenehm kühles Wasser auf dem Gaumen spürt –, lässt den Experten nur den Kopf schütteln.

Trüffel, Kastanien und Marzipan

Mimmo Bianco, Inhaber vom Al Contadino Sotto Le Stelle, richtet sich nach dem Original, was das Carpaccio betrifft: „Sehr gute Qualität vom Rinderfilet, sehr gute Qualität vom extra vergine Olivenöl und sehr gute Qualität vom 36 Monate gereiften Parmesan – kombiniert mit saisonalen frischen Zutaten –, so servieren wir das Original Carpaccio. Daneben bieten wir auch Carpaccio von Bresaola, Variationen mit Kalbsfilet und Trüffeln, oder im Herbst mit Kastanien und Pilzen.“ Und natürlich wird auch im Al Contadino an die Vegetarier gedacht, wenn immer wieder mal auf der Tageskarte ein Gemüse-Carpaccio steht, das beispielsweise saisonal aus Roter Bete, Spargel oder Pilzen bestehen kann. Auf die Frage nach süßem Carpaccio muss Padrone Bianco schmunzeln: „Naturalmente – wir können aus alles Carpaccio machen. Die Frage ist nur, ob das alles sein muss?“ Bianco zeigt mir ein Beispiel anhand einer Pizza auf, die mit hauchdünn geschnittenen Apfelspalten kunstvoll belegt ist und mit Marzipan und Aprikosenmarmelade leicht überbacken wird. „Ist das ein Apfelcarpaccio auf Pizzateig oder ist das eine Apfel-Pizza?“ Wo er Recht hat, hat er Recht. Kann nicht ein Wurstsalat weiterhin so heißen – es muss nicht Wurstcarpaccio an Senf-Vinaigrette heißen.

Saisonal und pflückfrisch

In der Brasserie Desbrosses serviert Küchenchef Jan-Oliver Henschel „Bunte Bete Carpaccio mit Ackersalat“, frisch vom eigenen bestellten Acker vom Müritzhof. „Mittlerweile haben wir von ursprünglich 76 nun über 84 verschiedene Gemüse und Kräuter zur Verfügung, die wir saisonal, tages- und pflückfrisch auf den Tisch bringen können. Alles Bio-zertifiziert, beispielsweise rote und braune Rettiche, Pariser Rüben und Topinambur, welche sich hervorragend in rohem Zustand zum Carpaccio zubereiten lassen. Hauchdünn geschnitten, hübsch arrangiert und mit einer passenden Marinade. Natürlich ist das Original aus einem Superstück Rinderfilet mit Top-Qualität, ein Stück von etwa 200 g, das richtig gut ausgeklopft gehört, um als Carpaccio serviert zu werden. Aber das Wort Carpaccio signalisiert halt eine gewisse Anrichteweise.“

Im letzten Jahr wurde in der Brasserie einiges verändert. Die schönen Holztische werden nun ohne Tischdecken gezeigt, die Speisenkarte wurde um einige Gerichte reduziert und das Hauptaugenmerk gilt der Regionalküche. „Wir kochen frisch und lecker, ohne Schnörkel, und bringen Top-Produkte auf den Teller“, sagt Küchenchef Henschel. Beim gastronomischen Bummel in neue Restaurants wie das Dae Mon oder das Martha‘s könnten einige Gerichte von der Anrichteweise auch als Carpaccio benannt werden: hauchdünn gehobelt oder geschnitten, auf alle Fälle im rohen Zustand und von leichter Bekömmlichkeit. Irgendwie hat mich das im Dae Mon fein geschnittene US Black Angus Beef daran erinnert. Die Krönung dazu ist frisch geschabter Wasabi auf der Haifischnackenhaut. Im Martha‘s bleiben mir die fein geschnittenen und drapierten Radieschen-Blättchen mit Nori-Remoulade in köstlicher Erinnerung.

Rezeptvorschlag: Seeteufel-Carpaccio mit Piltsalat 

rezept &

Zubereitung

Vorspeise für 4 Portionen

Für das Carpaccio

2 EL Olivenöl, Saft von ½ Zitrone, 1 EL mittelscharfer Senf, 50 ml Maracujasaft, 2 Maracujas, 1 Stängel Estragon, 200 g Seeteufelfilet (Sushi-qualität; ersatzweise Thunfisch, Lachs oder Schwertfisch)

Für den Pilzsalat

1 kleine rote Zwiebel, 200 g Kräuterseitlinge (ersatzweise   Steinpilze oder Austernpilze), 1 Chicorée, 100 g Wassermelone (ohne Schale), 20 g geschälte und ungesalzene Pistazienkerne, 2 EL Olivenöl, ausgekratztes Mark von ½ Vanilleschote, 100 ml Rhabarbersaft Außerdem Salz und Zucker zum Würzen, Estragonblättchen zum Garnieren.

1. Olivenöl, Zitronensaft, Senf und Maracujasaft mit dem Stabmixer mixen, bis eine Bindung entsteht. Mit Salz und Zucker abschmecken. Die Maracujas halbieren und das Fruchtleisch mit einem Löffel aus der Schale kratzen. Den Estragon waschen, trocken schütteln und die Blättchen fein schneiden. Maracujafruchtleisch und Estragon in die Marinade rühren.

2. Für den Pilzsalat die Zwiebel schälen, halbieren und in feine Streifen schneiden (siehe Step 1 Seite 135). Die Pilze säubern und putzen, dann längs in Scheiben schneiden. Den Chicorée längs vierteln, den Strunk herausschneiden und den Chicorée in Streifen schneiden. Die Wassermelone entkernen und in kleine Würfel schneiden.

3. Die Pistazienkerne in einer Pfanne ohne Fett rösten und beiseitestellen. Das Olivenöl in einer Pfanne erhitzen und die Zwiebel darin goldgelb braten. Die Pilzscheiben hinzufügen und weiterbraten, bis sie ebenfalls goldgelb sind.

4. Die Pilze mit Salz und Zucker würzen. Vanillemark dazugeben und mit Rhabarbersaft ablöschen. Die Mischung weitere 3 Minuten kochen lassen. Wenn der Rhabarbersaft etwas eingekocht ist, den Chicorée und die Wassermelonenstücke untermischen und 1 Minute mitkochen. Den Pilzsalat nochmals mit Salz und Zucker abschmecken. Die Pistazien unterrühren.

5. Den Seeteufel dünn aufschneiden (siehe Steps Seite 181) und auf vier Tellern anrichten. Das Carpaccio mit der Maracujamarinade beträufeln. Den warmen Pilzsalat darauf verteilen (man kann den Salat auch kalt servieren). Mit Estragon garnieren. Dazu schmeckt eine Focaccia ausgezeichnet.

Zubereitungs- und Garzeit: 45 Min.

von Rose Marie Donhauser