„Nur dieses eine Leben“

Der Horrorcrash am 10. Juli 2010 in der Motorsport Arena Oschersleben - Foto: Michelmichel

Ein Talent zu haben und das zu profilieren, ist Glück und ebnet Erfolg. Dr. Hans-Jürgen Henry Nielebock, Jahrgang 1943, verfügt über mindestens fünf Begabungen: Er begann als Musiker, wurde ein erfolgreicher Architekt, Filmemacher, Rennfahrer und Autor. Nach drei Architektur- Fachbüchern liegt nun seine Autobiografie „Mensch, Henry“ vor und erzählt Geschichte(n).

Wie nähert Mann sich dem Thema „Mein Leben“?

Die Musik begleitete Henry Nielebock durch sein ganzes Leben. Im Hintergrund de stattliche
Pokale-Sammlung der späten Rennfahrer-Karriere – Foto: Quasim Unger

Ich erzähle nun mal gerne Geschichten. An diesem Buch schreibe ich schon 20 Jahre, immer wieder gab es Pausen. Zugleich stellte diese Fülle an Ereignissen und Personen eine Herausforderung dar. Dann lernte ich durch Zufall meine spätere Lektorin Rud Bahner von Hoffs kennen, die vom Manuskript begeistert war. Von ihr kam dann auch der entscheidende Hinweis, mich nicht weiter mit der Chronologie zu plagen, sondern nach den einzelnen Phasen zu ordnen. Dann lief das plötzlich und ich musste nur noch aufpassen, dass es nicht zu viele Seiten wurden.

Architekt, Filmemacher, Rennfahrer und Autor – was hat Ihr Leben bestimmt?

Die Architektur. Und eigentlich wollte ich ursprünglich auch nur über Architektur schreiben, aber dann merkte ich, wie bestimmend die persönlichen Momente und die Fülle der verschiedenen Ereignisse waren.

War das Schreiben Arbeit oder ein tief-emotionaler Spaß?

Beides. Es war großer Lustgewinn, wenn das Schreiben funktionierte, wie Wellenreiten, und dann kamen die Augenblicke der Selbstzweifel mit der Frage, ob das denn wirklich jemanden interessiert.

Darauf ein lautes Ja. Schon allein deshalb, weil so viele markante Zeitgenossen Ihre Wege begleiteten oder kreuzten.

Das kam natürlich vor allem durch meinen damaligen Schwiegervater Horst Wendlandt, der bei allen Einladungen zu Veranstaltungen gern seine Familie mitnahm, die er gern um sich scharte. So saßen wir bei den Filmveranstaltungen meist am Tisch mit Brauners. Die beiden Alten zanken sich wie immer darüber, wer von den beiden die Wallace- oder Karl May Filme erfunden hatte, während die Frauen versuchten, die Harmonie wiederherzustellen. Wir lernten jede Menge Leute kennen, vor allem auch in seinem Haus in Berverly Hills. Da waren sie alle: Schwarzenegger, Walter Matthau, Bud Spencer … In der Filmbranche kennt eben auch jeder jeden.

Aber Sie haben immer eigene Projekte vorangetrieben und waren fleißig.

Ja, so habe ich in Los Angeles mein Buch „Berlin und seine Plätze“ geschrieben. Aber wiederum vernachlässigte ich da mein Büro und die Arbeit lastete vor allem auf meinem Partner Siegfried „Siggi“ Hein.

Wir viel Ehrlichkeit steckt in den 280 Seiten?

100 Prozent, deshalb auch der Untertitel „self-debunking“. Ein Freund meinte neulich, dass das aber sehr gefährlich sei, weil man so viel Persönliches offenlegt. Ich breite mein ganzes Leben aus – das ist im Kern wohl unüberlegt. Aber bei all dem habe ich streng darauf geachtet, niemanden zu kompromittieren.

In einem Aufsatz in Klasse 10 zum Sinn des Lebens schrieben Sie den Satz: „Der Sinn des Lebens ist das Leben zu erleben“. Unter dem Aufsatz stand ein „genügend“. War aber genau das die Einstellung, so viele verschiedene Dinge erfolgreich anzupacken?

Noch immer aktiv – hier mit Frank Zander – Foto: Quasim Unger

Und für diesen Satz warf der Lehrer – Prof. Kurt Westphahl, der die berühmte Rundfunksendung „Musikkritik am Mikrophon“ moderierte – einen Stuhl nach mir. Ich kann die Frage nach dem Sinn des Lebens heute noch immer nicht beantworten. Aber mir wurde sehr schnell bewusst, dass wir nur dieses eine Leben haben. Deshalb habe ich versucht, aus diesem einen Leben so viel wie möglich rauszufiltern.

Gibt es Reaktionen auf Ihr Buch?

Zauberhafte. Sowohl in den sozialen Medien als auch bei Lesungen. Darunter sind viele Männer in meinem Alter, die mir von ihrer Kindheit berichten, deren Schauplatz – wie bei mir – die Ruinen Berlins war. Dann höre ich den Satz: „Das war ganz genauso“, und alle wissen noch, wie es war, wenn Mutter den Kanonenofen anheizte. Und wenn wir dann ins Gespräch über gelebtes Leben kommen, weiß ich, dass es gut war, dieses Buch zu schreiben.

von Brigitte Menge