Bevor ihr urteilt

Foto: Tourismusverein Scharmützelsee

Das kleine Haus war für ihn „ein Traumgehäuse, sanft hingelehnt an den Scharmützelsee …“. Johannes R. Becher (1891-1958) verbrachte von 1948 bis zu seinem Tod viel Zeit in seinem Sommersitz Bad Saarow. Das Leben des Dichters und Schriftstellers war voller Widersprüche, geprägt von Zerrissenheit und Erfolg. Schon allein deshalb lohnt die Spurensuche und jeder Versuch, den Schriftsteller vor dem Vergessen zu bewahren.

Wie von Geisterhand bewegt öffnet sich das Tor des Eibenhofes. Vor dem strahlend-weißen Herrenhaus stehen drei stattliche Eiben, die der rund acht Hektar großen Halbinsel am Ufer des Scharmützelsees ihren Namen gaben. Nur das ferne Geräusch von Pferdehufen durchbricht die ländliche Stille. Veranstaltungsmanagerin und Gästeführerin Dr. Angela Grabley, die auf der Halbinsel lebt, kennt die Reaktionen von Besuchern, wenn sie diesen Ort zum ersten Mal betreten. „Ja, es ist schön hier“, bestätigt sie die Eindrücke von der denkmalgeschützten Anlage mit einer Geschichte, die ins 15. Jahrhundert zum Ritter von Löschebrand zurückreicht. Nach Ende des 1. Weltkrieges erwarb Dr. Paul Grabley – die Namensgleichheit ist kein Zufall – das einstige Gut und baute es in ein Sanatorium für Zivilisationskranke um. Er gab dem Anwesen seinen heutigen Namen. Von 1948 bis 1992 war der Eibenhof Gästehaus des Kulturbundes, der im August 1945 „zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ von Johannes R. Becher und anderen Intellektuellen im Osten Deutschlands gegründet wurde. Der 1891 in München geborene Becher war einer der produktivsten deutschen Dichter des 20. Jahrhunderts, dessen Lebensweg Geschichte greifbar macht. Seinen Aufbruch aus der Enge des Kaiserreiches und dem bürgerlichen Elternhaus beschreibt er später in seinem Roman „Abschied“. Eine Jugend mit Morphiumsucht, unzähligen Entziehungskuren und immer wieder Rückfällen. Mehrere Selbstmordversuche hinterlassen körperliche Schäden, die ihn vor der Teilnahme am 1. Weltkrieg bewahren. 1914 gelingt ihm mit „Verfall und Triumpf“ der literarische Durchbruch. Unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme muss das KPD-Mitglied Becher Deutschland verlassen, über die Tschechoslowakei und Frankreich emigrierte er in die Sowjetunion. Dichter der DDR-Nationalhymne und leidenschaftlicher antifaschistischer Mahner, Kulturfunktionär und sensibler Naturdichter, Streiter für „Deutschland, einig Vaterland“ und Autor eine Ulbricht-Biografie, Parteifunktionär und Mann vieler Affären, ein Kommunist, der die Ausschweifungen des Westberliner Nachtlebens genießt. Die Geister scheiden sich am Dichter und Kulturpolitiker. Manchmal bleibt der Eindruck, dass sich jeder genau das von Becher nimmt, was in die eigne Lesart passt. Wohl deshalb gibt es gegenwärtig mehr Literatur über den Schriftsteller und Kulturpolitiker als Nachauflagen seiner Werke. „Er war ein Mensch“, sagt Dr. Angela Grabley, die zu den Organisatoren einer Veranstaltung zum 125. Geburtstag von Johannes R. Becher auf dem Eibenhof unter dem Titel „Bevor ihr urteilt – Erinnerungen an einen Dichter“ im Mai 2016 gehörte. „Ein Mann im ständigen Balance- Akt zwischen dem eigenen Anspruch, den Erwartungen anderer und der Disziplinierung. Bei allen Zweifeln sah er keine Alternative. Letztendlich zerbrach er daran.“"

Gemeldet sei von mir: „Er litt und rang
Um Deutschland, das er liebte, doch nicht minder
Rang er mit sich, wobei ihm viel mißlang.
Er trug viel Lasten, und als schwerste Last
Trug er sich selbst, daran zerbrach er fast.
Er war ein Übergang. Ein Überwinder.“
Johannes R. Becher: Ausgewählte
Dichtung aus der Zeit der Verbannung
1933-1945, Aufbau Verlag 1945

1948 fand Johannes R. Becher sein Sommerhaus – das „Traumgehäuse“ – am Friedrich-Engels- Damm in Bad Saarow. Es war mit drei kleinen Zimmern eher bescheiden, schnell von Berlin aus zu erreichen, Ruhepunkt zum Arbeiten, Zufluchtsort und Treffpunkt für Künstler und Intellektuelle. Wie auch der Eibenhof, in dem Becher oft und viel zu Gast war. Er schätzte die guten und offenen Diskussionen mit Gesprächspartnern wie Hanns Eisler, Klaus Gysi, Walter Janka, Ludwig Renn, Anna Seghers, Alexander Abusch. Und er schätzte das gute Essen im Eibenhof, der auch landwirtschaftlich genutzt wurde und wird. Ein Ort der Begegnung ist das Areal geblieben, das von 2005 bis 2008 im Auftrag der neuen Eigentümer Freifrau Alexa und Freiherr Johannes von Salmuth denkmalsgerecht saniert wurde. Es öffnet regelmäßig seine Pforten für Veranstaltungen wie Lesungen, Liederabende, Konzerte, Theater, Film, selbst Opern sind in der 2012 neu eröffneten Kulturscheune zu erleben. Auch für Tagungen, Workshops und private Feiern wie Hochzeiten samt idyllischer Fotokulisse bietet der Eibenhof beste Bedingungen. Der Höhepunkt im Frühherbst ist alljährlich das internationale Festival Film ohne Grenzen, das sich den Themen Humanität, Menschenwürde und Solidarität stellt. Ehrengast in diesem Jahr war Margarethe von Trotta. Wer auf dem Eibenhof weilt, sollte unbedingt den Gärten mehr als einen Blick schenken. Die Londoner Gartenarchitekten Lady Arabella Lennox-Boyd und Jonny Griffiths haben in Zusammenarbeit mit Heiko Bethke aus Bad Saarow ein gärtnerisches Meisterwerk geschaffen, das so gut durchdacht ist, das es wie zufällig wirkt. Der Spaziergang durch Blumen- und Gemüsegärten, über kleine Felder und Streuobstwiesen öffnet immer wieder den Blick auf den Scharmützelsee, der den Eibenhof von drei Seiten umgibt.

Willkommen in der Kulturscheune auf dem Eibenhof: Dr. Angela Grabley – Foto: Brigitte Menge

Der See brachte dem leidenschaftlichen Segler Becher ein Stück Jugend zurück, denn er erinnerte ihn an die Gewässer seiner bayrischen Heimat. In seinem „Traumgehäuse“ schrieb er u. a. an seinem Tagebuch „Auf andere Art so große Hoffnung“ und viele Naturgedichte. Der Kulturminister mochte die Gespräche mit seinen Nachbarn und hatte ein offenes Ohr für die Probleme der Leute vor Ort. 1981 wurde das einstige Sommerhaus auf Wunsch von Lilly Becher zur Gedenkstätte, in die jährlich bis zu zehntausend Besucher kamen. Anfang der 1990er Jahre schloss die Gedenkstätte. Die heutigen Grundstücks-Eigentümer stellen den Schutz ihrer Privatsphäre über die Erinnerung an einen der prominentesten Bad Saarower Einwohner auf Zeit. Keine Tafel, kein Hinweis. Dafür gibt es aber das von Fritz Cremer geschaffene Becher-Denkmal an der Schwanenwiese zwischen Dampferanlegestelle und Hotel Esplanade. Die musealen Bestände hegt und pflegt die Gemeinde. Der Bad Saarower Gästeführer Burkhard Teichert hat sich den Ehrentitel „Becher- Kümmerer“ erarbeitet. Er sammelte Materialien über den Aufenthalt von Becher am Scharmützelsee, sprach mit Zeitzeugen und wirkte an Ausstellungen über den Schriftsteller mit. In der Bibliothek des Ortes im historischen Moorbadgebäude stehen Bechers Schreibtisch und ein Schrank aus dem „Traumgehäuse“. Auf dem Schreibtisch und im Regal nebenan findet der Besucher Werke des Schriftstellers, „die auch gelesen werden“, wie Bibliothekarin Kerstin Förster berichtet. In der sehr informativen Ausstellung zur Geschichte von Bad Saarow, das schon vor dem 2. Weltkrieg Prominente wie Max Schmeling, Anny Ondra, Harry Liedtke und Käthe Dorsch anzog, in der ersten Etage der Touristen-Information im Bahnhofsgebäude wird neben anderen Autoren selbstverständlich Johannes R. Becher gewürdigt.

Das von Fritz Cremer geschaffene Becher-Denkmal in Bad Saarow – Foto: Brigitte Menge

Der Kurort baut heute eine Brücke zur einstigen Eleganz. Großzügige und gepflegte Parkanlagen und Villen im Landhausstil spiegeln den Charme der vergangenen Zeiten. Der Reichtum an Wald und Wasser in und rund um Bad Saarow sorgt für klare und saubere Luft. Wassersportler, Radfahrer und Wanderer lieben den Ort, der auch eine Fülle an Gesundheitsangeboten offeriert. Ortsgebundene Heilmittel sind die Thermalsole und das „Original Bad Saarower Naturmoor“. Wer einen aktiven Tag plant, kann zur knapp 50 Kilometer langen Eintages-Fahrradtour „Adler trifft Zander“ starten, die auf entspannte Weise das Radeln am Wasser mit kulinarischen Pausen verbindet. Oder lieber Golfen im A-ROSA Scharmützelsee? Die 63-Loch Anlage bietet auf 300 Hektar mit zwei Driving Ranges und seinen drei 18-Loch-Plätzen und dem öffentlichen 9-Loch-Platz pures Golfvergnügen für jedes Handicap. Kulturinteressierte sollten unbedingt einen Blick auf den Veranstaltungskalender des Eibenhofes werfen, denn dann öffnen sich die Tore zu einem ganz besonderen Kleinod.