Die Geschichte hat Hollywood zu einem Film inspiriert: Carl Casper arbeitet als Chefkoch in einem feinen Restaurant in Los Angeles. Als er Lust auf neue Kreationen bekommt, wächst der Ärger mit seinem Chef, der „alles wie immer“ möchte. Genau das will Carl Casper nicht mehr und kündigt. Sein gastronomischer Neustart erfolgt mit einem Food-Truck. Das Geschäft mit frischen Sandwiches in Gourmet-Qualität floriert und Carl Casper kann bald sein eigenes Restaurant eröffnen. Na klar, Hollywood, und dennoch: Der Film „Chef“ aus dem Jahr 2014 bringt den allgegenwärtigen Trend des Streetfood auf den Punkt und die Leinwand.
Natürlich gab es schon immer Bratwurstwurststände und Fischbrötchen gehören zu Hamburg wie Elbe und Alster. US-amerikanische und asiatische Streetfood-Märkte bieten seit jeher nicht nur alles, was Menschen für den Alltag brauchen, sondern auch frisch zubereitete Gerichte. Die Tradition des Straßenverkaufs von Lebensmitteln zum sofortigen Verzehr ist rund um den Globus sehr alt und findet sich überall dort, wo sich Menschen auf Märkten treffen. Woher kommt der neue Streetfood-Trend, den Gourmets in höchsten Tönen loben und Food-Blogger schon mit einer Revolution unserer Ernährungsgewohnheiten vergleichen? Und warum gerade jetzt?
Für Dr. Stefan Elfenbein, „Feinschmec-ker“-Autor und Food-Journalist sind gastronomische Trends das tägliche Brot. Und so wusste der Profi-Genießer auch gleich, dass sich hier Großes tut, als er im Frühjahr 2013 zum ersten Mal in die Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg zum „Streetfood-Thursday“ ging. „Foodys aus aller Welt kochten – ein großes, demokratisches Restaurant im Mix der Kulturen, vereint durch die Begeisterung für gutes Essen“, erinnert er sich. Aus New York und London kannte er ähnliche Konzepte. „Dort waren die Mieten schon immer hoch und viele zeigten auf der Straße, wie gut sie kochen können.“ An den langen Holztischen in der historischen Markthalle aus dem 19. Jahrhundert sitzen seitdem an jedem Donnerstag Menschen aus allen sozialen Schichten, die wilden Kreativen und die gediegenen Feinschmecker, Alte und Junge, Einheimische und Touristen. Sie genießen die hohe Kunst des einfachen Essens abseits der industriellen Produktion und regional verankert: britische Pies, thailändische Tapioka Dumplings, mexikanische Tacos, Allgäuer Kässpatzen, Beelitzer Spargel, peruanische Ceviche, nigerianisches Fufu, amerikanisches Barbecue, koreanische Buns und noch viel mehr und vor allem jeden Donnerstag neu. Das Konzept einer jungen, internationalen Genuss-Generation, die in entspannter und kommunikativer Atmosphäre die Lust am Essen zelebriert, war in Deutschland angekommen. Es fand Protagonisten und Anhänger zwischen Sylt und Allgäu und – nicht zu unterschätzen – mediale Aufmerksamkeit. Im September 2014 lud Hamburg zum ersten „Streetfood Thursday“ auf eine Brachfläche zwischen Central Park und Waagenbau ein. „Die meist jungen Leute zeigen: Wir setzen auf Qualität und sind stolz auf unsere Straßenküche“, urteilt Stefan Elfenbein. Ende Februar gab‘s den ersten „Streetfood Thursday“ des Jahrgangs 2015 auf dem Gelände der Ratsherrn Brauerei, angedockt an die Social Media Week der Hamburger Kreativwirtschaft. Während der „Streetfood Thursday“ in der Berlin-Kreuzberger Markthalle Neun eine Dauer-Heimat hat, die inzwischen auch in fast jedem Reiseführer als „Geheim-Tipp gehandelt wird, wechseln in Hamburg die Veranstaltungsorte. Eine durchaus lockende Chance, scheinbar vergessene Orte zu beleben oder bekannten Locations eine neue Farbigkeit zu verpassen.
Ist es die Exotik, die Lust am Entdecken, die Streetfood so populär macht? „Das Bewusstsein der Menschen gegenüber dem Essen hat sich verändert“, erklärt Stefan Elfenbein. „Uns interessieren die Geschichten hinter dem Essen, wir lieben es zuzusehen, wie unsere Mahlzeiten gekocht werden. Essen ist Erlebnis.“ Geschichten, die auf der Straße beginnen.
Für Reisende sind Streetfood-Märkte immer eine Entdeckertour in die landestypische Küche – fernab von Hotelbüffets und zu akzeptablen Preisen. Mittlerweile widmen sich sogar ganze Kongresse unterschiedlicher Wissenschaften diesem Thema, wie jüngst in Großbritannien, wo Wissenschaftler „über Psychologie und Unternehmertum im Streetfoodmarkt in Vietnam“ diskutierten.
Reif für den roten Teppich
Längst gehört Streetfood zu unserem Ess-Alltag. Ein Klassiker steht als frisch gekürtes Beispiel dafür: der Burger. Pappige Brötchen, fahles Fleisch und triefendes Billig-Fett waren gestern. Kreative Gastronomen haben den guten alten Hamburger aus dem Küchenschlaf wachgeküsst und auf einen neuen Karriereweg gebracht – für viele wurde er gerade Sinnbild für Streetfood. Das beginnt bei der originellen Namensfindung und geht über die handverlesenen Zutaten bis hin zu ungewöhnlichen Kreationen, der optischen Präsentation und dem virtuellen Vermarktungs-Auftritt. Doch das Individuellste sind wohl die Macher, die dem Burger in seinen ungezählten Erscheinungsformen eine neue Bühne verschafft haben. Beispiel dafür ist The Burger Lab in der Max-Brauer-Allee. Hier eröffneten vor rund einem Jahr drei junge Leute ihr Restaurant und offerieren hausgemachte kulinarische Ideen rund um den Klassiker. Die Produkte sind sorgfältig ausgewählt, frisch und – wenn saisonal möglich – aus der Region. Das Fleisch kommt von einem Familienbetrieb aus Schleswig-Holstein. Die Brötchen werden täglich frisch nach einem selbst kreierten Rezept von der Hamburger Traditions-Bäckerei Pritsch gebacken. Oder dar stylische Burger de Ville direkt vor dem Eingang zum 25hours Hotel Number One im Otto-von-Bahrenpark / Bahrenfeld. Die Burger werden mit ausgewählten Zutaten wie 100 Prozent Black Angus vom Biohof Zempow und Burger Buns von einer Meisterbäckerei aus Berlin serviert.
Streetfood ist inzwischen filmreif, denn seit vergangenem Jahr gibt es sogar einen Auftritt bei der Berlinale. Im Februar offerierte das Kulinarische Kino der Berlinale gemeinsam mit der Markthalle Neun einen Street-Food-Markt auf dem Festivalgelände am Potsdamer Platz. Zur diesjährigen INTERNORGA – der europäischen Leitmesse für Hotellerie, Gastronomie, Gemeinschaftsverpflegung, Bäckereien und Konditoreien – vom 13. bis zum 16. März in Hamburg präsentierte sich auf dem Vorplatz der Messe erstmals das Food Truck Village. An jedem Messetag stellten fünf Food Trucks ihre zukunftsweisenden Konzepte der Fachwelt als mobile Kantine vor. Das Angebot reichte von polnischen Köstlichkeiten über Bio-Burger, Burritos, Banh Mi’s, saisonale Suppen-Kreationen, frischbelegte Pizza aus dem Steinbackofen und American Style Pulled Meat Sandwiches bis hin zu moderner Hausmannskost und veganem Fast-Food. Den Messebesuchern schmeckte die Vielfalt made in Hamburg, zugleich brachte dieses neue Angebot viel Gesprächsstoff unter Fachleuten. Food-Trucks bieten den kreativen Köchen in der Hansestadt Freiraum und Existenzgrundlage und den Essern immer wieder neue Geschmackserlebnisse, ganz gleich ob exotisch oder bodenständig. Frisch auf jeden Fall.
Und wo geht die Streetfood-Reise hin? Das ist bei Ernährungstrends schwer vorauszusagen. Möglicherweise werden die Streetfood-Märkte immer mehr mit zu Eventlocations, die neben leckerem Essen Veranstaltungen wie Lesungen, Musik und Film servieren. Spannend, appetitlich und abwechslungsreich ist es allemal.
Bleibt die Frage, ob Fischbrötchen und Currywurst Streetfood sind. Nach unserem Verständnis ja, vorausgesetzt, die Zutaten sind qualitativ hochwertig. In Blogs über die Streetfood-Angebote in aller Welt stehen selbstbewusst Fischbrötchen, die längst kulinarisches Hamburger Kulturgut sind. Streetfood – eine neue Entdeckung mit traditionellen Wurzeln.
von Brigitte Menge