Es sind 580. Axel Kirchner weiß es genau. Blitzblank sauber und harmonisch arrangiert zieren die Pokale die Gänge des UJKC-Bereiches in der Potsdamer MBS-Arena. Sie sind sichtbar gewordene Leistung des erfolgreichsten Judo-Nachwuchsstützpunktes in Deutschland.
So genau wie der gebürtige Erfurter diese Zahl weiß und sich sicher ist, dass die Galerie der Pokale weiter wachsen wird, so unsicher ist er bei der Antwort auf die Frage, wie viele Judoka er in ziemlich genau 30 Jahren Trainerarbeit betreute. „Viele“, antwortet er vage und erinnert sich an die Zeit, als er 1987 nach seinem erfolgreich abgeschlossenen Trainerstudium an der DHFK nach Potsdam kam. „Nicht freiwillig, das entschied die sogenannte Lenkungskommission.“ Gerade mal 15 Kinder und 15 Erwachsene versammelten sich im Keller der Sporthalle an der Heinrich-Mann-Allee um den Diplom- Sportlehrer. Ein Jahr später waren es schon 300 Potsdamerinnen und Potsdamer, die bei Trainer Kirchner das 1 x 1 der japanischen Kampfsportart lernten. Judo in Potsdam wurde populär und Männer wie Axel Kirchner, Karl-Heinz Jonas, Torsten Reißmann und der damalige Leiter der Hochschulsportgemeinschaft der Pädagogischen Hochschule (HSG PH) Dr. Erhard Buchholz – später Präsident des Deutschen Judobundes – legten die Grundsteine für die erfolgreiche Entwicklung der attraktiven japanischen Kampfsportart in Potsdam.
Nach den Wirren der Wende entstand im Jahr 1994 der Universitäts Judo- und Kampfsportclub Potsdam (UJKC). Die Startbedingungen waren schwierig und Provisorien Alltag. Doch die Begeisterung übertraf das Jammern über schlechte Trainingsbedingungen. Von Beginn an schenkte der junge Sportclub dem Nachwuchs seine ganze Aufmerksamkeit. So entstand das Projekt Judo in Kitas und Schulen. Heute betreiben zwischen 300 und 400 Kinder und Jugendliche in 15 Potsdamer Kitas und 16 Schulen regelmäßig diesen Kampfsport, der nicht nur Schnelligkeit, Kondition, Kraft und motorische Fähigkeiten entwickelt, sondern scheinbar spielerisch Werte wie Respekt und Disziplin vermittelt. Die jüngsten Judoka, die von den beiden Nachwuchstrainern Doreen Prestel und Matthias Retzlaff betreut werden, sind vier Jahre alt. Für die jüngsten Altersgruppen gibt es seit über 10 Jahren die Traditionsturniere: den Teddybärpokal und das Erhard Buchholz Turnier. Dabei gehen die kleinen Sportler viermal jährlich an den Start, was ihnen, ihren Eltern-Fans und Erziehern sichtlich viel Spaß bereitet. Den Besten öffnet sich der Weg zum UJKC. Und wer zum Talent Ehrgeiz, Durchhaltevermögen und gute schulische Leistungen mitbringt, hat die Chance, ab Klasse 7 Schüler an der Potsdamer Eliteschule des Sports zu werden. Dort lernen nicht nur die Judo-Talente aus der Region, sondern auch aus anderen Bundesländern und der Schweiz. „Natürlich wird man gerade bei den Jüngeren zu einer Art Vaterersatz, wenn man seine Arbeit gut machen will“, weiß Axel Kirchner. „Dabei geht es manchmal auch darum, Heimweh zu mildern, viel öfter aber sind es ganz praktische Dinge wie Arztbesuche und Freizeitaktivitäten oder auch mal das Schlichten von Konflikten.“ Freizeitaktivitäten bei Ganztagsschule und täglich zwei Trainingseinheiten? Kirchner lächelt milde.
„Sportler lernen schnell, mit ihrer Zeit effektiv umzugehen. Wir haben Schüler, die Geige lernen, Schlagzeug spielen oder sehr dicke Bücher lesen. Mancher braucht Nachhilfeunterricht – das ist wie in jedem anderen Gymnasium auch, schließlich steht am Ende ein Abitur, mit dem man was anfangen kann.“ Auch deshalb sind die Wege zwischen Eltern, Lehrern, Trainern und Erziehern kurz, „da fällt keiner durch den Rost und die Eltern wissen, dass sie sich auf uns verlassen können“, so der Lehrertrainer, der eine Hand für Talente hat und weiß, dass diese mehr brauchen als Trainingspläne und klar strukturierte Tagesabläufe. „Gewinnen ist leicht. Gewinner zu bleiben ist schwer“, ist einer dieser Axel-Kirchner- Sätze, die viel Lebenserfahrung auf den Punkt bringen. „Judo ist eine sehr komplexe Sportart, in der man mit Kraft, Intelligenz, Geschicklichkeit und Technik den Gegner aus dem Gleichgewicht bringt. Wenn man für 30 ewig erscheinende Sekunden in der Festhalte liegt, tut das verdammt weh. Nicht nur körperlich, auch der Psyche. Jeder Judoka lernt dabei von Anfang an, sich die Frage zu stellen: Was habe ich falsch gemacht? Das ist eine Charakterschule, denn man begreift, dass man selbst für die Ergebnisse verantwortlich ist und Niederlagen zum Leben gehören. Judo stärkt die körperliche Fitness genauso wie die Persönlichkeit“, erklärt Axel Kirchner, den einst seine beiden älteren Brüder zum Judo mitnahmen. Gemeinsam mit Mario Schendel betreut er die jungen Elitesportler. Bis Ende des vergangenen Jahres gehörte zum Trainerteam Yvonne Bönisch, die neben ihren beiden Vizeweltmeistertiteln mit ihrem Olympiasieg im Jahr 2004 den größten sportlichen Erfolg in der 23-jährigen Vereinsgeschichte errang. Heute trainiert die gebürtige Ludwigsfelderin für vier Jahre die Frauennationalmannschaft Israels. Noch immer ist das UJKC-Eigengewächs Yvonne Bönisch die einzige deutsche Olympiasiegerin im Judo.
Die Liste der sportlichen Erfolge von UJKC-Judoka ist lang. Die Frauenmannschaft errang 2005 erstmals den Titel des Deutschen Mannschaftsmeisters in der 1. Bundesliga und wiederholte dies 2007 und 2008. Den größten Mannschaftserfolg erkämpften die Frauen 2006, sie wurden Vizeeuropameister der Vereinsmannschaften. Die Männermannschaft gewann 2007, 2011 und 2012 Bronze in der 1. Bundesliga. Einen großen Teil der 680 Pokale errangen die Nachwuchssportler. Gerade sorgte Marlene Galandi für großen Jubel in PotsPotsdam, denn sie wurde bei der U18-Weltmeisterschaft in Chile Weltmeisterin. Marlenes Bruder Philipp – der übrigens ein Abitur mit 15 Punkten hinlegte – gewann gleich zwei Bronzemedaillen bei der Universiade. „Es ist gut, wenn der Nachwuchs Vorbilder zum Anfassen hat“, weiß Axel Kirchner, „das spornt an.“ Viele der ehemaligen Leistungsträger halten dem Verein die Treue und nutzen die guten Trainingsbedingungen in der MBS-Arena. „Da gibt es oft gute Gespräche und viele nützliche Tipps“, beobachtet Axel Kirchner.
Rund 750 Mitglieder hat der Universitäts Judo- und Kampfsportclub Potsdam heute, knapp 600 davon sind Kinder und Jugendliche. Neben Judo gibt es Aikidokurse – auch für Jugendliche und ältere Menschen –, eine betont defensive moderne japanische Kampfkunst.
Die systematische Nachwuchsarbeit des UJKC fällt auf. Und so wurde der Sportclub im Jahr 2016 nach 1998 und 2005 bereits zum dritten Mal vom Deutschen Olympischen Sportbund mit dem „Grünen Band“ als Anerkennung für die herausragende Talentförderung ausgezeichnet. „Unser größter Vorteil ist unser Trainerteam. Es gibt keinen Neid, jeder leistet an seinem Platz gute Arbeit für die Kinder.“