Rund 70.000 Firmen brauchen hierzulande jährlich einen Nachfolger. „Die Unternehmensnachfolge wird für viele Betriebsinhaber zur sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, so fasste DIHK-Präsident Eric Schweitzer im Dezember 2017 die Ergebnisse des DIHK-Reports zur Unternehmensnachfolge zusammen. Dieser Prozess ist schwierig, komplex und emotional, denn er berührt alle Bereiche. Wir stellten hierzu vier Fachleuten vier Fragen.
Prof. Dr. Dr. Mario Tobias, Hauptgeschäftsführer der IHK Potsdam
Wann sollten Unternehmen anfangen, über Unternehmensnachfolge nachzudenken?
Eine erfolgreiche Nachfolgeregelung kann fünf bis acht Jahre in Anspruch nehmen. Da die meisten Betriebsinhaber meist das „offizielle gesetzliche“ Rentenalter als Übergabedatum anpeilen, sollte man sich so früh wie möglich mit der Thematik auseinandersetzen. Unser Rat: Beginnen Sie mit Ihrem eigenen Nachfolgeprojekt bereits ab dem 56. Lebensjahr.
Wo finden Unternehmen Rat und Unterstützung?
Die InhaberInnen, die den Generationswechsel angehen wollen, können sich kostenfrei fachkundigen Rat bei ihrer IHK oder Handwerkskammer einholen. In der IHK Potsdam wenden Sie sich jederzeit gerne an unseren Nachfolgeberater Andreas Lehmann (E-Mail: andreas.lehmann@ihk-potsdam.de, Tel. 0331 / 27 86-167).
Außerdem unterstützen bei der Betriebsübergabe insbesondere die Steuerberater des eigenen Unternehmens sowie bei Bedarf Rechtsanwälte und Notare bei der rechtlichen Ausgestaltung, z. B. wenn es um Kauf- und Übergabeverträge oder Erbangelegenheiten geht.
Es ist ein sehr komplexer Prozess. Wer sind dabei Ihre Netzwerkpartner?
Eine Nachfolge zu regeln ist in der Tat vielschichtig und manchmal auch sehr emotional. Umso wichtiger ist es sowohl für Übergeber als auch für Nachfolger, die Hilfe von Experten in Anspruch zu nehmen. Bei unterschiedlicher Interessenslagen kann es auch hilfreich sein, bei Streitigkeiten eine neutrale Person vermitteln zu lassen – hier hilft die neu eingerichtete Mediationsstelle der IHK Potsdam weiter. Zudem unterstützen insbesondere Banken und Sparkassen in der Region sowie unsere Partner bei der Investitionsbank und Bürgschaftsbank bei Finanzierung und Förderung von Unternehmenskäufen.
Ist Unternehmensnachfolge eine Alternative zur Neugründung?
Absolut. Die Unternehmensgründer der 90er-Jahre sind jetzt in einem Alter, den Fortbestand ihres Lebenswerkes zu sichern und in jüngere Hände zu legen. Das bietet Nachfolgeinteressenten zahlreiche Chancen, sich mit der Übernahme eines am Markt etablierten Unternehmens einen Vorteil gegenüber einer Neugründung zu verschaffen. Kundenstamm, Lieferantenbeziehungen und gut ausgebildete Mitarbeiter sind ein großes Plus für diejenigen, die diesen Weg der Selbstständigkeit einschlagen wollen.
Veranstaltungshinweise:
• NEXXT-NIGHT am 20. September 2018
• Unternehmensnachfolgen im Pitch am 12. Oktober 2018
• Gastro-Nachfolge am 5. November 2018
Peter Dreißig, Präsident der Handwerkskammer Cottbus
Was macht Unternehmensnachfolge im Handwerk so besonders?
Die Konjunktur im Handwerk floriert derzeit wie selten zuvor. Die Auftragsbücher in den Unternehmen sind voll, ein Abflauen der Geschäfte ist nicht in Sicht. Wer also jetzt ins Handwerk einsteigt, hat hervorragende Chancen, ein gutes und sicheres Einkommen zu generieren und somit ein auskömmliches Leben zu führen.
Darüber hinaus sind viele Betriebe im Handwerk familiengeführte Unternehmen. D. h. da wurde etwas mit viel Herzblut aufgebaut. Es erfüllt viele mit Stolz, so ein Erbe dann weiterzuführen.
Wir suchen Macher, Führungspersönlichkeiten, die ein gut etabliertes Unternehmen mit festem Kundenstamm übernehmen möchten. Besonders viele Nachfolgen stehen in den Branchen Elektro und Metall sowie Bau und Ausbau, aber auch Nahrungsmittel, an.
Wie viele Firmen betrifft das in Ihrem Verantwortungsbereich in etwa?
In unserem Kammerbezirk müssen in den nächsten fünf Jahren fast 2.500 Betriebe einen Nachfolger finden. Bei durchschnittlich vier Beschäftigten pro Unternehmen bedeutet dies für den Arbeitsmarkt Südbrandenburgs, dass in den kommenden Jahren fast 10.000 Arbeitsplätze von der erfolgreichen Gestaltung der anstehenden Unternehmensnachfolgen abhängig sind.
Der Bedarf zur Beratung der Unternehmensnachfolge steigt seit Jahren stetig an. Er umfasst mittlerweile rund zwei Drittel der Beratungskapazitäten. Insgesamt wurden im Jahr 2017 130 Übergeber und potenzielle Nachfolger durch die Handwerkskammer Cottbus beraten.
Was sind die größten Herausforderungen, vor denen Handwerksbetriebe in diesem Prozess stehen?
Wichtig ist, ausreichend Zeit einzuplanen. Gute Nerven sind auch nicht verkehrt. Wenn ein Unternehmen übertragen werden soll, stehen meist umfangreiche Verhandlungen an. Es geht um rechtliche und steuerliche Fragen, die sehr komplex sind. Ob eine Nachfolge gelingt oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab. Entscheidend sind der technologische Rückstau in einem Betrieb, also wie viel investiert werden muss, und der Preis, für den ein Unternehmen verkauft werden soll.
Welche Unterstützung geben Sie als Handwerkskammer?
Wir analysieren mit potenziellen Übergebern die Übergabefähigkeit des Unternehmens, wir bewerten die Betriebe und erstellen Kurzexposés als Basis für Verkaufsgespräche. Auf Wunsch bereiten wir das Unternehmen Schritt für Schritt auf die Übergabe vor und begleiten es bei der Umsetzung.
Mehr als die Hälfte der beratenen Unternehmen hatte zum Zeitpunkt des Erstgespräches keinen potenziellen Nachfolger. Auch hier bieten wir mit der Betriebsbörse „nexxt-change“ eine Plattform zur aktiven Unterstützung der Nachfolgersuche. Für die Qualifizierung von potenziellen Nachfolgern stehen darüber hinaus die Angebote der Nachfolgerakademie der Handwerkskammer zur Verfügung.
Dr. Dirk Schultze- Petzold,Rechtsanwalt und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht:
Warum sollte ein Unternehmer, der vor einem Wechsel steht, juristischen Rat einholen?
Geglückte Unternehmensnachfolgen sind für den Fortbestand der Arbeitsplätze in kleinen und mittelständischen Unternehmen enorm wichtig. Zudem geht es einerseits immer um große Geldbeträge und andererseits ruft die Umsetzung der Nachfolgeentscheidung durch den Eigentümer oder Patron eines kleinen und mittelständischen Unternehmens immer auch emotionale und heikle Situationen hervor. Also ist es geboten, von Anfang an Vorsicht walten zu lassen. Jede Nachfolgeregelung verläuft anders, und was in der Theorie relativ einfach erscheint, kann in der Praxis kompliziert werden.
Worin besteht die Herausforderung?
Die Herausforderung der Unternehmensnachfolge besteht zunächst einmal in einem handwerklich (rechtlich/steuerlich) fehlerfreien Konzept, einer Gestaltungsaufgabe, unter Einbeziehung des Erb-, Familien-, Gesellschafts- und Steuerrechts. Recht und Steuern bilden jedoch nicht allein den Schlüssel zum Erfolg. Finanzielle und liquiditätsbezogene Überlegungen sowie das Gerechtigkeitsempfinden aller an der Unternehmensnachfolge Beteiligten zwingen den Unternehmer dazu, alle Facetten abzudecken. Dem Unternehmer ist daher von Anfang eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Beratern zu empfehlen, die ihn einerseits mental in der besonderen Situation des sogenannten „Loslassen“ betreuen und ihm daneben andererseits rechtlich und steuerlich zur Seite stehen.
Über welche Fragen muss sich ein Unternehmer selbst klarwerden?
Zu Beginn einer jeden Unternehmensnachfolge, die erfolgreich verlaufen soll, muss sich der Unternehmer klar darüber werden, ob die Nachfolge in der eigenen Familie gefunden werden kann oder ob sie anderweitig gesucht werden muss. Ebenso können interne Nachfolgeregelungen, d. h., die Übergabe der Unternehmensleitung von einem Geschäftsführer an einen bereits im Unternehmen beschäftigten und für die Unternehmensführung qualifizierten Mitarbeiter, etwa einen Abteilungsleiter oder Prokuristen, in Betracht kommen. Auch der Verkauf des Unternehmens an die Geschäftsleitung, ein sogenanntes Management Buy-out, kann sich anbieten. Wahrscheinlicher ist in der Praxis jedoch vielfach eine Übernahme des Unternehmens durch ein Konkurrenzunternehmen. Der Unternehmer steht hier persönlich vor der entscheidenden Weichenstellung für die nach seiner Entscheidung sodann umzusetzende Nachfolgeregelung.
Welche Vertragswerke werden in diesem Prozess angefasst?
Die Einzelheiten der Vertragsgestaltung einer Unternehmensnachfolge hängen maßgeblich davon ab, ob eine Übertragung des betreffenden Unternehmens unter Lebenden oder von Todes wegen erfolgt:
1. Ein Einzelunternehmen ist grundsätzlich unter Lebenden übertragbar. Dies gilt entsprechend auch für Personenund Kapitalgesellschaften.
2. Ein Einzelunternehmen ist grundsätzlich durch eine Verfügung von Todes wegen (Testament, Erbvertrag) oder infolge gesetzlicher Erbfolge vererblich, und zwar als (unselbstständiger) Teil des Gesamt-Nachlasses.
3. Ob eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung überhaupt vererblich ist, bestimmt sich nach Gesetz, Gesellschaftsvertrag und nach den Gesellschafterbeschlüssen. Entscheidend für die Gesellschafter- Nachfolge ist in erster Linie der Gesellschaftsvertrag. Er bestimmt über das Maß der erbrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten. Es gilt: Gesellschaftsrecht geht vor Erbrecht!
4. Es empfiehlt sich daher die Aufnahme von gesellschaftsvertraglichen Fortsetzungs- oder Eintrittsklauseln bei Personengesellschaften.
5. Anteile an Kapitalgesellschaften, beispielsweise bei der GmbH, sind frei vererblich. Auch hier empfiehlt sich in Gesellschaftsverträgen, in Ab- und Übereinstimmung mit den erbrechtlichen Regelungen in einem Testament bzw. Erbvertrag, eine auf die vom Unternehmer gewollte Unternehmensnachfolge zugeschnittene Regelung, etwa einer besonderen Nachfolgeberechtigung eines von möglichen mehreren Erben.
Dr. Michael Kirchhoff, Rechtsanwalt und Steuerberater, Potsdam
Funktioniert eigentlich eine Unternehmensnachfolge ohne den fachlichen Rat eines Steuer-Experten?
Bei der Unternehmensnachfolge stoßen die Beteiligten häufig an ihre persönlichen Grenzen. Bei diesem in der Regel einmaligen Vorgang kann nicht auf einen breiten Erfahrungsschatz zurückgegriffen werden. Ohne eine fundierte (steuer-)rechtliche Beratung, die mit der gründlichen Sachverhaltsermittlung sowie Planung beginnt und mit einer maßgeschneiderten (steuer-)rechtlichen Ausarbeitung abschließt, ist die erfolgreiche Unternehmensnachfolge kaum möglich. Dazu ist das deutsche Steuerrecht einfach zu kompliziert. Das Bundesverfassungsgericht hat erst jüngst mit Urteil vom 17. Dezember 2014 auf rund 100 Seiten die Betriebsvermögensbegünstigung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt. Ob die Erbschaftsteuerreform 2016 verfassungsgemäß ist, bleibt abzuwarten. Einfacher ist es dadurch nicht geworden.
Gibt es steuerlich relevante unternehmensspezifische Unterschiede?
Es macht einen erheblichen Unterschied, ob es sich um Kapitalgesellschaften (GmbH, AG) oder Personen-(handels-)gesellschaften (GbR, OHG, KG) handelt, die bereits rechtlich unterschiedlich strukturiert und bei denen demzufolge steuerrechtliche Besonderheiten zu beachten sind.
Welche Steuerarten spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle?
Das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz spielt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle, um steuerbegünstigt das Betriebsvermögen übertragen zu können. Aber auch andere Steuergesetzte sind betroffen, wie beispielsweise das Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz.
Was raten Sie Unternehmern, die sich verabschieden, in Sachen private Vermögensplanung?
Ich rate die vorsichtige Investition in gute Mietgrundstücke und erstklassige dividendenzahlende Aktien, auch wenn beides mittlerweile sehr teuer ist. Das sollte auch von Experten begleitet werden.