Die Nachricht, dass ein Kind lebensverkürzend erkrankt ist, hebt eine Familie aus den Angeln. Nichts ist mehr so, wie es war. Beratung und Begleitung in dieser schwierigen Zeit leisten im Land Brandenburg spezialisierte ambulante Hospizdienste, verschiedene Vereine, Therapeuten, Sozialarbeiter und die Kirchen. Doch was alles umfasst das? Woher nehmen Menschen die Kraft für solche Aufgaben? Antworten gab unsere Gesprächsrunde in den Räumen der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Hospiz Brandenburg e. V.
Pionierarbeit in der Region leistete die Björn Schulz Stiftung, die 1996 in Berlin entstand und mit dem stationären Kinderhospiz Sonnenhof erstmals einen ganz neuen Ansatz praktizierte: Das Haus stand der gesamten Familie des lebensverkürzend erkrankten Kindes vom Zeitpunkt der Diagnosestellung an offen. So etwas gab es bis dahin nur im nordrhein-westfälischen Olpe. Schon ein Jahr später nahm in Brandenburg der erste ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst seine Tätigkeit auf. Heute arbeiten unter dem Dach der LAG sechs Dienste und Einrichtungen, die sich auf Kinder und Jugendliche spezialisiert haben. Das erste stationäre Hospiz für Kinder und Jugendliche im Alter von 0–18 Jahren entsteht gegenwärtig unter Trägerschaft der Johanniter im Spreewald. Das Kinderhaus „Pusteblume“ soll 2020 eröffnet werden. „Geplant sind zwölf Plätze für den Hospizbereich und acht Plätze für Kinder mit einem medizinischen Versorgungsbedarf in einer ambulant betreuten Wohngruppe. Das ist beispielsweise für kleine Patienten gedacht, die aus dem Krankenhaus entlassen werden, aber bei denen das häusliche Umfeld noch nicht umfassend auf die neue Lebenssituation vorbereitet ist“, so Manja Bieder. Mit diesem zweiteiligen Konzept – die Bereiche sind wirtschaftlich, räumlich und personell getrennt – ist „Pusteblume“ deutschlandweit einmalig."
Sie alle sind hauptberuflich oder ehrenamtlich in Hospiz-Diensten tätig. Welche Voraussetzungen und welche zusätzlichen fachlichen Qualifikationen bringen Sie für Ihre Arbeit mit?
Eileen Samol: Für die Mitarbeiter der Kinderhospizdienste gibt es verschiedene Module, so eine vierwöchige Zusatzweiterbildung „Palliativversorgung bei Kindern und Jugendlichen“ oder ein einwöchiges Aufbaumodell für diejenigen, die den vierwöchigen Kurs „Palliative Care“ absolviert haben. Ich selbst habe dieses Aufbaumodul besucht und natürlich nutze ich verschiedene Möglichkeiten, mich weiterzubilden. Allerdings sind die Seminare und Workshops mit diesen sehr speziellen Themen deutschlandweit verteilt. Das ist nicht immer einfach in den Alltag zu integrieren. Nicole Menzel: Wir sind ein Erwachsenenhospizdienst und wir begleiten Kinder, Jugendliche, Familien und Erwachsene in der Zeit der Trauer. Meine Kolleginnen und ich sind Sozialarbeiterinnen oder Krankenschwestern. Wir haben einen Palliativ-Care-Kurs und verschiedene fachspezifische Seminare absolviert. Kolleginnen in der Trauerbegleitung haben zusätzlich die große Basisqualifikation Trauer. Diese Qualifikationen definieren auch die Krankenkassen. Katrin Lübbe: Eine tragende Säule unserer Arbeit ist die Ausbildung von ehrenamtlichen Familienbegleitern, die wir als Koordinatoren akquirieren, ausbilden und einsetzen. Unsere Arbeit ruht also auf zwei Säulen: zum einen die Begleitung der Familien und zum anderen die Ausbildung und den Einsatz der Ehrenamtlichen, für die wir auch Ansprechpartner in den verschiedenen Situationen bleiben. Die Ausbildung umfasst zwischen 100 und 130 Stunden.
Haben Sie Schwierigkeiten, Ehrenamtler zu finden?
Katrin Lübbe: Das ist regional und manchmal auch zeitlich sehr unterschiedlich. Die Ausbildung selbst dauert ein Jahr. Christian Schirmer: Es ist mit Sicherheit schwierig, kompetente und einfühlsame Menschen für diese sensible und intensive Arbeit mit Kindern und Jugendlichen über eine lange Zeit zu finden, denn die Betroffenen werden ja schon – anders als im Erwachsenenhospizdienst – vom Zeitpunkt der Diagnose an begleitet. Hinzu kommen die oftmals weiten Wege im Flächenland Brandenburg. Gabriele Rech: Ich habe nach Abschluss meiner Ausbildung in den letzten fünf Jahren vier Familien betreut und tue das noch immer. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man in diesen langen Prozessen mit der ganzen Familie arbeitet. Da ergeben sich sehr enge Beziehungen. Das ist durchaus ein Balanceakt, wie weit man sich selbst einbringt und wie viel man tragen kann. Eileen Samol: Die Betreuung umfasst zudem Kontakte zu Schulen, Kitas und Ärzten. Man kennt die Beziehungen untereinander und die Befindlichkeiten. Wir sind mittendrin.
Aber niemand kann gerade in Krisensituationen die Tür zumachen und zurück in einen unbeschwerten Alltag gehen.
Gabriele Rech: Ich kann da nur für mich sprechen. Natürlich gibt es Situationen, die mich sehr beschäftigen. Das sind aber meist Dinge, mit denen ich nicht gerechnet habe. Ansonsten erlernt man in der Ausbildung eine bestimmte abgrenzende Haltung einzunehmen, um selbst gesund zu bleiben. Katrin Lübbe: Supervision haben natürlich auch die Ehrenamtler. Eileen Samol: Die Anforderungen und Wünsche der einzelnen Familien sind unterschiedlich. Es gibt Familien, da haben wir einen Termin wöchentlich, um zu singen, andere freuen sich, wenn wir an den Wochenenden etwas mit den Geschwisterkindern unternehmen. Natürlich gibt es auch die sehr intensive Betreuung. Das ist natürlich immer in Bewegung, kann sich verändern. Immer sind wir mit den Familien im Gespräch. Und natürlich auch mit den Schulen und Kitas.
Gibt es bei Kindern, die ein Elternteil oder ein Geschwisterkind verloren haben, besondere Trauerrituale?
Daniela Brunschen: Das größte Ritual ist die Beisetzung. Bestattungsunternehmen sind sehr offen: Sie bieten und unterstützen viele Möglichkeiten, so die Urnen- oder Sarggestaltung. Es ist gut die Kinder zu fragen, was sie tun möchten. Birgit Graßnick-Popiak: Wir haben in der Gruppe feste Abschiedsrituale. So zündet jedes Kind seine Kerze für den Verstorbenen an, die den ganzen Nachmittag brennt. In den Sommermonaten arbeite ich mit der Unterstützung von Pferden. Wir haben einen Ritualplatz auf der Koppel, da legt jedes Kind – wenn es möchte – einen Stein hin für den Verstorbenen. Diese Steine können gestaltet werden. Und die Kinder wissen: Je mehr die Farbe vom Stein verschwindet, umso mehr verschwindet der Schmerz. Und es bleibt die Erinnerung. Nicole Menzel: Wichtig ist, die Kinder mitzunehmen bei dem, was gerade in der Familie geschieht. Kinder trauern in Pfützen: Sie springen in ihre Trauerpfütze hinein und spontan wieder heraus in ihr buntes Kinderleben. Trauer- und Sterbebegleitung sind eine Lebensbegleitung. Trauer bei Kindern vollzieht sich in Wellen und ist sehr individuell.
Und die Krankenkassen haben für so viel Individualität Verständnis.
Nicole Menzel: Trauerbegleitung ist rein spendenfinanziert . Das ist auch erklärbar, denn Trauer ist ja keine Krankheit, sondern eine natürliche und gesunde Reaktion. Aber sie kann zu einer Krankheit werden, wenn sie dauerhaft verdrängt wird. Insofern sind wir dankdankbar für Spenden und letztendlich darauf angewiesen. Christian Schirmer: Teilweise erstattet we rden können aber die Kosten für hauptamtliche Mitarbeiter/ innen mit der Ausbildung als „Geschwister-Fachkraft“. Aber die Kassen agieren hier sehr unterschiedlich. Katrin Lübbe: Es hat zehn lange Jahre gedauert, dass die Geschwister-Arbeit ins Blickfeld der Kassen kommt. Daniela Brunschen: Es ist eine große Diskussion in Fachkreisen und wir alle hier am Tisch wissen, dass Trauerarbeit Prävention ist. Zugleich sind da viele Punkte, die definiert werden müssen, beispielsweise: Wie lange ist Trauer „normal“. Christian Schirmer: Eine der wichtigsten Quellen der Hospizarbeit ist das bürgerschaftliche Engagement. Da ist es schwierig, das richtige Maß der Finanzierung zu finden. Viele Dienste wollen nicht jedes kreative Angebot buchhalterisch auflisten, anderseits bedarf es Planungssicherheit. Kinderhospizarbeit ist sehr besonders und erfordert Sensibilität und mentale Stärke.
Schärft die Arbeit Ihren eigenen Blick auf das Wesentliche im Leben?
Katrin Lübbe: Selbstverständlich. Ich rege mich längst nicht mehr über jede Kleinigkeit auf. Gabriele Rech: Die Arbeit prägt mich. Ich nehme die Kleinigkeiten im Alltag besser wahr und genieße mich auch selbst. Eileen Samol: Mein Kind ist sechs Jahre und ich weiß, dass die lapidare Aussage „Hauptsache gesund“ gar nicht so banal ist.
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