Zwischen frisch Gepresstem und Fallobst

Foto: Fercher Obstkistenbühne

„Gibt ‘n Dorf bei Potsdam, nicht weit von Berlin, da müssen grad Sie unbedingt einmal hin …“, wir nahmen die musikalische Einladung von Ingrid und Wolfgang Protze an und waren an einem der ersten Frühlingstage Gast bei den Erfindern des märkischen Holzpantinen-Musik-Literatur-Theaters in Ferch.

Still ruht der Schwielowsee, an dessen Südspitze das einstige Fischerdorf liegt, das Maler anzog und oft in einer Aufzählung mit Worpswede, Ahrenshoop, Hiddensee und Schwaan genannt wird. Die Dorfstraße mit ihrem Kopfsteinpflaster ist holprig, geschichtsträchtige Häuser, die sich an den Boden kuscheln, stehen neben modernen Bauten, die das Licht einfangen und manchmal den Blick bis aufs Wasser durchlassen. Der in Holz geschnittene Hinweis „FERCHER OBSTKISTENBÜHNE“ ist nicht zu übersehen und schon öffnet sich die Tür zum Hof, der im Schatten einer 100-jährigen Linde seit 1992 eine der kleinsten und poetischsten Bühnen des Landes beherbergt. Die hat sich gut getarnt, denn die Türen öffnen sich wie Verschläge erst zu den Konzerten unter freiem Himmel in einladender Nachbarschaft zu Pflaumen- und Birnbaum, Johannisbeer-, Himbeer- und Stachelbeerstrauch. So fest verwurzelt wie Baum und Strauch in der märkischen Erde sind die Lieder der beiden Vollblut-Musiker, die es nie stört, wenn Konzertbesucher während des Programms Früchte naschen, die hier nicht verboten sind, sondern zu diesem Ort gehören wie Wasser und Fischerkirche. Ingrid Protze wuchs auf diesem Obstbauernhof auf und berichtet vom bescheidenen Leben der Eltern und Großeltern, bestimmt von Jahreszeiten und Wetterverlauf. Nicht selten bezahlten die Eltern den Akkordeonunterricht der musikalischen Tochter mit Eiern und Obst."

Fahrräder in Ferch am Schwielowsee – Foto: TMB-Fotoarchiv/Bernd Kröger

Doch noch sind die Bühnentore geschlossen, Kaffee und Kuchen stehen auf dem Tisch im ehemaligen Wohnzimmer, wo ein Feuer im Feldsteinkamin Wärme und Gemütlichkeit verbreitet. „Hier war einst der Stall“, erinnert sich Ingrid Protze. „Nach der Sanierung des 3-Seiten- Hofes wurde es unser Wohnzimmer.“ Bis Wolfgang Protze die Idee mit den Kaminkonzerten hatte, die seitdem in der kalten Jahreszeit zu Wohnzimmermusik samt Kaffee und Kuchen einladen. Die sind familiär und vermitteln diese wunderbare Mischung aus Alltagsbeobachtungen, Reflexionen und Erlebnissen, gewürzt mit einer großen Portion Humor, Lebenserfahrung und einer schmackhaften Prise Romantik.

Beiden lieben das Spiel mit den Worten („Johannisbeerjahresabschlussballgeflüster“) genauso wie die Musik. Die war auch Ursache und Anlass, dass sich das Paar in den 1970er- Jahren an der Pädagogischen Hochschule in Potsdam fand. Wolfgang Protze hatte es da als Liedermacher und Leiter der Gruppe „Spartakus“ schon zu einer landesweiten Bekanntheit gebracht. „Es war eine sehr intensive Zeit“, berichtet die promovierte Anglistin Ingrid Protze. Die Liebe zueinander und zur Musik blieb. Ingrid Protze gehörte zu den Mitbegründern des Potsdamer Chanson-Studios. 1985 wagten beide den Schritt in die Freiberuflichkeit. Die Musiker Winfried Rogel (Keyboards) und Gerald Bassing (Saxophone) stehen seitdem gemeinsam mit Ingrid und Wolfgang Protze auf den Bühnen. Viele Programme entstanden in all den Jahren, das Quartett reist quer durchs Land und über die Grenzen. „Wir haben immer weitergemacht“, meint Wolfgang Protze, der längst aufgegeben hat, die Zahl der Songs zu erfassen. Es entstanden auch Programme für Kinder, ein Kinderhörspiel und das Musical „Vogelscheuchenball“ mit dem poetischen Titelsong „Luft hab‘ ich in meinen Taschen.“ Ingrid Protze veröffentlichte Gedichte und wurde Anfang der 1990er-Jahre mit dem Ehm Welk Literaturpreis ausgezeichnet. Sie gehörte zu den Initiatorinnen des ersten Literarischen Salons für deutschsprachige Schriftstellerinnen. Ingrid Protze war viele Jahre engagiert im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller: als Landesvorsitzende Brandenburg, im Bundesvorstand sowie im Board des European Writers’ Council. Im Jahr 2005 erschien die zweite Auflage ihres Buches „Schwielowsee-Tage-Buch(t).“

1991 kehrte das Paar auf diesen Hof zurück. Der Fercher Tischler half, die skurrile Bühne zu zimmern, und Ingrids Eltern stellten ab und zu die bange Frage, wer denn hierherkommen solle. Zur Eröffnung ein Jahr später kam und spielte Günther Fischer, und seitdem ist das kleine Theater im Grünen Treffpunkt für Menschen, die zuhören können. „Wir staunen oft, woher die Leute kommen.“ Alle Obstbühnen- Programme bestehen aus drei Teilen: „Frisch Gepresstes“ (die neuen Lieder), „Immergrünes“ (die Evergreens wie die „Stachelbeerballade“ oder „Der alte Schulhof“) und „Fallobst“ („das sind die Songs, die wir nicht mehr hören können, aber die das Publikum verlangt“). Wer ankommt, erhält ein Paar Holzpantinen, die hier in den Händen zu märkischen Percussionsinstrumenten werden. Die eigene Bühne nennt Wolfgang Protze heute „unser großes Glück“. Die beiden Musiker freuen sich schon jetzt auf die warme Jahreszeit und die Konzerte draußen im Grünen, deren Programm gerade Gestalt annimmt. „Fontane fehlte in keinem der Programme in den letzten 27 Jahren“ so Wolfgang Protze. Auf der ObstkistenBühne wandert der große Brandenburger in diesem Jahr zwischen Caputh und einem Ort gleichen Namens in Schottland: Das alles gibt es dann „frisch gepresst“.

Die Fercher ObstkistenBühne ist zu erleben:

  1. April: KaminKonzert „Eine Weile ging das Geplauder
    … (Fontane)“
    Sommerliche Abendkonzerte
    NEU: Wer möchte, kann von Werder per Schiff über den
    Schwielowsee zur Fercher ObstkistenBühne anreisen.
  2. Mai und 22. Juni: Landpartie mit Theodor Fontane
    „Mit Fontane um den Schwielowsee zwischen Caputh
    (Brandenburg) und Caputh (Schottland)“
  3. Juli / 20. Juli / 17. August
    Sommerliche Familienkonzerte
  4. Juni, 14. Juli, 21. Juli und 18. August:
    „Fontane zwischen Himbeeren und Stachelbeeren“
    Fahrradsonntag: 15. September
    Die Fercher ObstkistenBühne on Tour:
  5. August: Fährfest in Caputh
    Im November beginnen dann wieder die beliebten Konzerte
    am Feldsteinkamin.
    www.fercherobstkistenbuehne.de