Im markanten Glasbau am Ufer des Tiefen Sees zeigt das Hans Otto Theater Potsdam die ganze Welt des Theaters: die großen Klassiker und zeitgenössische Stücke. Seit August 2018 lenkt Bettina Jahnke als Intendantin die Geschicke des Hauses. Ein Gespräch über Haltungen, Offenheit und Transparenz mit Ausblicken.
Wenn Sie Ihre erste Spielzeit mit drei Adjektiven beschreiben sollten, welche sind das?
Erfolgreich, intensiv und leidenschaftlich.
Sie sind angetreten mit der Überzeugung, dass Theater in Potsdam kein entrückter Elfenbeinturm ist. „Wenn die Stadt nicht ins Theater kommt, dann kommen die Theaterleute in die Stadt“, formulierten Sie das. Was ist im ersten Jahr hierzu passiert?
Wir begannen mit den „SchauSpielFenstern“, einer Aktion, bei der wir kleine Szenen aus unserem Spielplan in etlichen Schaufenstern der Brandenburger Straße zeigten. Dabei kamen wir mit den Potsdamerinnen und Potsdamern und natürlich auch mit den Gästen der Stadt ins Gespräch. Mit diesem Opener werden wir auch in diesem Spätsommer mit dem ganzen Team auf die neue Spielzeit aufmerksam machen. Das Zweite ist das Prinzip des offenen Hauses, das wir mit vielen Diskussionsrunden vor und nach Aufführungen mit Leben erfüllen. Dazu gehört auch das Format „Scobel fragt“, das viermal jährlich in unserem Haus stattfindet. Bei all dem geht es immer darum, eine offene Begrüßungskultur zu pflegen. Und das Dritte ist die Gründung einer Bürgerbühne im Januar 2019, auf der Menschen – ganz gleich, ob sie schon mit dem Theater in Berührung kamen oder nicht – die Geschichten erzählen, die ihnen auf der Seele brennen. All das werden wir weiter ausbauen.
Dabei greift der Spielplan auch Stücke auf, die vermutlich die meisten Menschen bewegen, wie beispielsweise „Gehen oder Der zweite April“, in dem es um selbstbestimmtes Sterben geht.
Nach einer Aufführung blieben 80 Zuschauer*innen, um mit einer großen Offenheit und Ehrlichkeit über das Thema zu sprechen. Das war emotional sehr berührend und zugleich zeigt das private Thema eine politische Schlagkraft, die man im ersten Moment so nicht vermutet.
Was war in der vergangenen Spielzeit die erfolgreichste Inszenierung, gemessen an den Zuschauerzahlen?
Das weiß ich heute noch nicht. Ich möchte kein Ranking. Eine Siegerquote interessiert mich nicht.
Aber wir wissen, was Sie interessiert: „Haltung“ war das Leitmotiv, das Sie über Ihre erste Spielzeit schrieben und das sich als Wert durch alle Premieren wie ein roter Faden zog. Bleibt dieses Motto oder gibt es 2019/20 ein neues?
Hans Otto Theater – abgekürzt HOT – steht für mich für Haltung, Offenheit, Toleranz. Das sind die drei Motti für meine drei ersten Spielzeiten hier im Haus. Die kommende Spielzeit trägt also die große Überschrift Offenheit im Sinne von offen, neugierig, abenteuerlustig, risikobereit sein. Hierzu haben wir Stoffe gesucht.
Und welche davon sind in Vorbereitung?
Die Spielzeit eröffnen wir mit dem Stück „Das achte Leben (Für Brilka)“ der jungen georgischen Autorin Nino Haratischwili. Ihr 2014 erschienenes Buch erzählt die georgische Geschichte vom Zarenreich über die Revolution bis zum Untergang des Sowjetreiches. Auf die Bühne kommen acht starke Frauenschicksale, die eindringlich offenbaren, dass jede Generation versucht, das Leben wieder neu zu erfinden. Und die Utopien jeder Generation scheitern auf ihre Weise an den politischen Verhältnissen. Regie führt Konstanze Lauterbach. Ich inszeniere im Herbst „Harold und Maude“ mit der großen Rita Feldmeier. Es wird ihre Abschiedsrolle, da sie am Ende der Spielzeit nach 44 Dienstjahren in den Ruhestand gehen wird. Das Stück erzählt sehr viel über Offenheit, und es hat gerade in diesen Zeiten einen radikalen Ansatz: Eine Frau denkt und liebt über Generationsgrenzen hinweg. Im Kern geht es um eine liberale, offene und bunte Gesellschaft. Und wir werden „Cabaret“ auf die Bühne bringen, weil dieses Musical – wie gerade auch unsere Inszenierung von „Jeder stirbt für sich allein“ – die Frage stellt, wie sich der Einzelne verhält, wenn politische Haltung gefragt ist.
Unverkennbar sind Ihre Anstrengungen, starke Frauengestalten auf die Bühne zu bringen.
Das Thema Frauen ist mir auf der Bühne und im Theateralltag gleichermaßen wichtig, um die patriarchalen Strukturen aufzubrechen. Ich engagiere mich dazu im Deutschen Bühnenverein und hier im Haus. Es gibt ca. 130 städtische Theater in Deutschland – und an ca. 15 sind Frauen Intendantinnen. Bei uns am Haus achten wir darauf, dass 50 Prozent der Regiearbeiten von Frauen übernommen werden.
Sie haben in politisch aufgewühlten Zeiten die Intendanz in Potsdam übernommen und einen sehr politischen Spielplan vorgelegt. Wie definieren Sie die gesellschaftliche Funktion des Theaters dabei: als Wortmeldung? Als Einmischung? Als Impulsgeber? Was ist es für Sie?
Die Beschreibung trifft es. Es hängt immer davon ab, wie man die Themen setzt und wie man sich an die Tabus einer Gesellschaft wagt. Für mich ist das immer auch die Suche nach den gesellschaftlichen Schmerzpunkten.
Sie sind Neu-Potsdamerin mit Potsdam-Erfahrung. Die Stadt verändert sich. Was waren für Sie Neuentdeckungen?
Ich bin ein großer Potsdam-Fan und lebe hier sehr gern, weil es eine enorm lebendige Stadt ist. Die Mischung aus politisch engagierten Menschen und harmonischer Natur empfinde ich als dramatisches Spannungsfeld. Es ist immer wieder ein Erlebnis, morgens eine Runde im Park von Sanssouci zu drehen und am Nachmittag auf der Probe die Welt einzufangen. Und wenn ich dann noch Lust habe, bin ich in 30 Minuten in Berlin und kann ins Theater gehen oder die pulsierende Großstadt erleben – besser geht’s nicht.