Bilanz – Ziele – Aufgaben – Herausforderungen. Warum Gemeinsinn gegenwärtig besonders wichtig ist. Ein Gespräch mit dem Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg Dr. Dietmar Woidke zwischen zwei Wahlen.
Die Sommermonate liegen in diesem Jahr zwischen zwei Wahlen. Sind sie dadurch für Sie anders als in den vergangenen Jahren?
Nach sicherlich wunderbar erholsamen und gemütlichen zweiwöchigen Familien- Sommerferien an der schönen Ostsee geht es gut erholt in den Wahlkampf. Und darauf freue ich mich, denn es ist die Zeit der besonderen Zuspitzung und klaren Ansagen. Die Menschen werden erkennen können, dass es diesmal um Zusammenhalt oder Spaltung geht, um Zwietracht oder EINBrandenburg. Ansonsten sind und waren diese Wochen durch die ganz normale Arbeit als Ministerpräsident geprägt. Es freut mich, dass dabei immer mehr Termine mit richtig guten Botschaften dabei sind, zum Beispiel: hohe Investitionen bei BASF Schwarzheide, Ausbau der Bahnwerke in Wittenberge und Cottbus, deutlich gesunkene Arbeitslosenzahl und vieles mehr. Und was ich besonders gerne gemacht habe bis zur Sommerpause: die 18 Bürgerdialoge in den Kreisen und kreisfreien Städten mit insgesamt rund 2.500 Gästen. Das hat mir auch inhaltlich sehr viel gebracht. Nach den zumeist zweieinhalb bis drei Stunden war ich zwar platt, aber glücklich.
Ihre Amtsperiode begann im August 2013. Was ist Ihnen in diesen Jahren gut gelungen?
Im Detail mögen darüber andere und vor allem die Wählerinnen und Wähler richten, aber für mich stand der Zusammenhalt des Landes und der Menschen immer im Vordergrund. Davon lässt sich dann viel ableiten: bessere Kitaqualität, Einstieg in die Kita-Beitragsfreiheit, Ausbau Schiene und Straße, mehr Polizei und Lehrer, Krankenhaus-Investitionsprogramm und vieles mehr.
Und das schließt natürlich auch die Frage ein, was noch nicht erledigt ist.
Die Kreisgebietsreform: Ich habe sie im Herbst 2017 abgesagt. Und das war notwendig und richtig. Und ich werde sie auch nach den Wahlen nicht wieder aufleben lassen. Seit dieser Absage hat sich vieles zwischen Land und Kommunen sehr deutlich verbessert. Die Kommunikation war zeitweise ein Desaster. Was ich aber anpacken will in der nächsten Legislatur: Verbesserungen bei der Pflege, weiter verbesserter Personalschlüssel bei Kitas, weitere Beitragsbefreiungen bei der Kita, weiterhin Personalzuwachs bei Lehrern und Polizei, Digitalisierung und vieles mehr. Die Aufgaben werden uns nicht ausgehen.
Woraus ergeben sich eigentlich die Schwierigkeiten beim Umgang mit Gebietsreformen? Thüringen hat mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie Brandenburg.
Diese Reformideen sind zumeist auf dem grünen Tisch entstanden, zum Beispiel auf Basis der Bevölkerungsprognosen. Zum einen sind sie nicht eingetreten und zum anderen haben der Reform Herz und Überzeugung gefehlt. Die Menschen hatten das Gefühl, ihnen wird Heimat genommen. Und gegen Gefühle kommen die besten Argumente nicht an. Und ehrlich gesagt: Die Argumente waren nicht ausreichend überzeugend. Ich bin froh, dass da ein Haken dran ist, auch wenn wir damit ein „Versprechen“ aus dem Koalitionsvertrag nicht erfüllt haben.
Welche Ziele haben Sie für die kommende Legislaturperiode? Was sind die dringendsten Aufgaben für Brandenburg?
Wie schon gesagt: Bildung, Sicherheit und soziale Gerechtigkeit, aber auch unbedingt Digitalisierung und Ausbau Breitband. Vordringlich ist natürlich auch die Strukturstärkung in der Lausitz mit der weiter zurückgehenden Braunkohleverstromung. Die Lausitz soll eine „Europäische Modellregion für Klimaschutz und Wirtschaftswachstum“ werden. Ich bin sicher: Das passt zusammen. Und für mich ist ganz wichtig: Brandenburg kann nur stark sein mit einer starken Lausitz. Hier werden keine Regionen gegeneinander ausgespielt.
Sehen Sie angesichts der Ergebnisse aus den Europawahlen eine Spaltung des Landes Brandenburg? Gerade in den östlichen Landesteilen wurde die AfD stärkste Kraft.
Eher im Süden. Dort gibt es schwierige rechtsextreme Strukturen, die mit der AfD verbunden sind. Dazu gehören fremdenfeindliche Aktionen, die auch mit Pegida Dresden verknüpft sind. Und der Kohleausstieg verunsichert Menschen in der Region, denn die Kohle gehört zur DNA der Lausitz. Und die AfD leugnet bekanntermaßen wie auch Trump, dass im Wesentlichen wir Menschen Verursacher des Klimawandels sind. Die AfD arbeitet mit Spaltung, Zwietracht und Hass.
Es besteht eine reale Gefahr, die vom nationalradikalen Populismus für unsere Heimat ausgeht: Er bringt ein ganzes Bundesland gerade in einer Zeit in Gefahr, in der Brandenburg immer attraktiver wird. Die Arbeitslosigkeit ist von einst mehr als 20 auf jetzt 5,7 Prozent gesunken. Neue Unternehmen und Branchen investieren. Überall werden Arbeitskräfte gesucht. Steigende öffentliche Investitionen in Bildung, Infrastruktur und sozialen Zusammenhalt verbessern die Lebensqualität. Eine lebendige Zivilgesellschaft stärkt Nachbarschaft und solidarisches Miteinander. Und immer mehr einst Abgewanderte kehren in ihre Heimat zurück, weil es sich hier gut leben lässt. Und es kommen viele Neu-Brandenburger zu uns, die mitwirken am weiteren Aufbau des Landes.
Halten Sie angesichts der vielen Herausforderungen in Bildung, Energietechnologien, Verkehr und Sicherheit die föderalistischen Strukturen in ihrer jetzigen Form noch für zeitgemäß?
Der Föderalismus ist wesentliche Bedingung der Stärke Deutschlands. Ich brauche keinen Zentralstaat. Der Ausgleich der Kräfte zwischen Bund und Ländern ist bei uns sehr gut austariert – auch im Interesse der ländlichen Regionen. Das heißt aber nicht, etwas im Detail zu ändern, zum Beispiel eine stärkere länderübergreifende Bildungsarbeit. Und das haben Bund und Bundesrat in diesem Jahr beschlossen.
Die SPD durchlebt schwierige Zeiten. Was sind die wesentlichen Ursachen?
Es geht beiden ehemals großen Volksparteien verdammt schlecht. Unsere schweren Tanker haben nicht rechtzeitig auf gesellschaftliche Anforderungen mit klaren Positionen reagiert. Ich bin davon überzeugt, dass die SPD die richtigen Antworten auf viele Fragen hat, zum Beispiel soziale Gerechtigkeit mit der Grundrente, Bildung oder Gesundheit. Aber wir müssen das deutlicher kommunizieren, vor allem mit Personal an der Spitze, das Inhalte mit Überzeugung, Tatkraft und Herzenswärme ausstrahlt und vermittelt.
Machen Sie Gedanken über die Zukunft Brandenburgs mitten in Europa eher zuversichtlich oder eher besorgt?
Zuversichtlich. Sehr sogar. Aber dafür braucht Brandenburg ein gutes Wahlergebnis – ohne Spaltung und Zwietracht, sondern mit Gemeinsinn.