Süßes Gift, Ärger um die Grundsteuer, einfache Steuererklärung für Senioren, die „Kümmerer“-Partei … viel Stoff für ein Gespräch mit Christian Görke (Die Linke), seit 2014 Finanzminister und stellvertretender Ministerpräsident des Landes Brandenburg.
Das Steueraufkommen sprudelt, die Staatseinnahmen steigen. Hat Brandenburg einen zufriedenen Finanzminister?
Zeiten von Steuermehreinnahmen sind manchmal wie süßes Gift, weil die Erwartungen in allen Bereichen überdurchschnittlich steigen, also größer sind als das tatsächliche Plus in der Staatskasse. Wir haben in Zeiten solider Finanzeinnahmen vor allem in die Köpfe – also den Bildungsbereich –, die Infrastruktur und die kommunalen Haushalte investiert. Brandenburg ist ein Land, das seine Ausgaben zu 70 % mit eigenen Steuereinnahmen finanziert. Das ist ein guter Wert im Vergleich mit den anderen ostdeutschen Bundesländern, aber zur Vollfinanzierung fehlen uns 30 Prozentpunkte. Es ist die Herausforderung, das in Übereinstimmung zu bringen.
Woher kommen diese 30 Prozent?
Vor allem aus der EU. Deshalb schaue ich mit großen Erwartungen auf die Festsetzung des mittelfristigen Finanzrahmens für die EU, die uns dann die Möglichkeit eröffnet, für die Jahre nach 2020 zu planen.
Sie haben ein geringeres Steueraufkommen bis 2023 prognostiziert.
Das sind Prognosen. Angesichts vieler ungewisser Faktoren – wie Brexit, geopolitische Entwicklung, europäischer Finanzrahmen, wirtschaftliche Entwicklung des Landes – sage ich immer: Vorsicht an der Bahnsteigkante! Die Beträge sind eben erst dann in der Kasse, wenn sie gebucht sind. Das betrifft auch die vielen programmatischen Aussagen der verschiedenen politischen Parteien, um den Wähler zu überzeugen. Alles allen zu versprechen, scheitert bei der Umsetzung. Prioritäten müssen gesetzt werden.
Sie sind einer der dienstältesten Finanzminister Deutschlands. Was sind die wichtigsten Ergebnisse Ihrer sechsjährigen Amtszeit?
Ich war und bin kein Sparkommissar und habe in diesen sechs Jahren neue Wege beschritten. Auf der Habenseite stehen enkelgerechte Haushalte, also keine Neuverschuldung auch in den Jahren, in denen die Steuerquellen nicht so üppig sprudelten. Wir haben nach 2010 nicht einen Cent Schulden gemacht, zugleich 850 Millionen Altschulden abgetragen.
Wir investierten in den guten Zeiten in die kommunalen Haushalte. 15 Jahre lang betrug die Verbundquote – das ist der Anteil der Kommunen an den Steuereinnahmen des Landes – 20 Prozent. In mehreren Stufen wird dieser Betrag bis zum Jahr 2021 auf 22,43 Prozent erhöht. In Zahlen: Das ist jährlich eine Viertel Milliarde Euro mehr aus dem Landeshaushalt für die kommunale Familie.
Welche Herausforderungen sehen Sie in Ihrem Ressort in den nächsten fünf bis zehn Jahren?
Das ist die Haushaltslage in den Kommunen mit einem defizitären Haushalt. In etwa jede fünfte Kommune ist davon betroffen. Ich denke, wir müssen mit einer Teilentschuldung diesen – meist kleinen – Gemeinden wieder Luft zum Atmen geben. Die Nachhaltigkeit solcher Maßnahmen funktioniert aber nur mit Unterstützung des Bundes, denn das ist ein gesamtdeutsches, ja sogar ein europäisches Problem. Die Investitionen in die Köpfe und in die Infrastruktur sind bleibende Schwerpunkte.
Stichwort Gesetzentwurf „für eine wertabhängige Grundsteuer“, der für hohe Wellen sorgt. Wie ist Ihre Position?
Das ist ein komplexes Thema. Ich sehe mit großer Besorgnis, dass wir mit dem Thema Steuern in den Wettbewerbs-Föderalismus eintreten. Es ist nicht zu erklären, dass Bayern mit einer Öffnungsklausel des Gesetzentwurfs erreicht, dass ein Grundstück am Tegernsee nach anderen Maßstäben besteuert wird als ein gleich großes Grundstück an der Abraumkante eines Brandenburger Tagebaus. Das liegt in der DNA dieses Gesetzentwurfes, der den Wertbezug von Grundstücken unter den Tisch fallen lässt. So sieht dieser Entwurf auch vor, dass sich die finanzielle Belastung durch die Grundsteuer von den westdeutschen Ländern in die ostdeutschen Flächenländer verlagert. Deshalb waren alle ostdeutschen Finanzminister geschlossen dafür, dieses Flächenmodell zu kippen. Da aber die CSU am Koalitionstisch sitzt …
Und noch eine Steuerfrage: Sogenannte Share Deals ermöglichen es Unternehmen ganz legal, die Grunderwerbsteuer zu umgehen. Warum wird das nicht verändert?
Wir haben auf der Bundesebene einen Kompromiss erreicht, wobei wir – in diesem Fall gemeinsam mit SPD-Kollegen – auf eine Entscheidung im Bund angewiesen sind. Hier ist man bisher nicht bereit, die Rahmenbedingungen zu ändern. Wir sehen, dass die Häufigkeit der Verkäufe steigt und der Staat dabei zuschaut, ohne einen Cent zu kassieren. Dies geht zu Lasten der öffentlichen Haushalte und damit zu Lasten jedes Einzelnen. Und das sind – wenn beispielsweise Wohnungsbaugesellschaften verkauft werden – Milliardenbeträge.
Landwirtschaftsminister, Bildungsminister, Innenminister – da kann man sich gut die Themen der Gespräche mit den Brandenburgerinnen und Brandenburgern vorstellen. Worüber reden denn Menschen mit dem Finanzminister?
Was viele reifere Jahrgänge im Osten interessiert, ist die Besteuerung der Renten: Wie? Warum 10 Seiten mit Anlagen? Das ist fern der Lebensrealität von knapp 80 Prozent der Rentnerinnen und Rentner Brandenburgs, die nur Alterseinkünfte beziehen. Deshalb haben mein Amtskollege in Mecklenburg-Vorpommern und ich in einem Pilotverfahren eine vereinfachte Steuererklärung für Seniorinnen und Senioren auf den Weg gebracht, die seit Mai dieses Jahres gilt. Das ist nun ein Blatt, beidseitig beschrieben.
Und natürlich sind alle Fragen rund um die Kommunalfinanzierung Themen, über die Menschen mit mir sprechen. Aus diesen Gesprächen kommen konkrete politische Akzente und Impulse für ganz konkrete Maßnahmen der kommunalen Daseinsfürsorge.
Die Linke galt über Jahre als Sammelbecken für viele Protestwähler. Nun zeigt die Europawahl, dass dies nicht mehr so funktioniert. Wo sehen Sie die Ursachen?
Das hat nicht nur mit Protest zu tun. Bei den Europawahlen wusste der Wähler nicht genau, wofür die Linke steht. Es fehlte ein klares Bekenntnis zu Europa. Zukünftig müssen wir unseren Marken-Kern als „Kümmerer-Partei“ gerade im Osten viel stärker herausstellen.
Was sind für Sie die wichtigsten Aufgaben und Ziele für die Partei Die Linken nach der Wahl – unabhängig davon, welche Konstellationen entstehen? Worum wollen Sie sich persönlich besonders kümmern?
Für mich wichtig ist, nicht zuzulassen, dass Brandenburg in ein Land mit zwei Geschwindigkeiten zwischen dem prosperierenden Raum um die Metropole Berlin und dem ländlichen Raum zerfällt. Das ist nur durch harte Arbeit vor allem in den Bereichen Bildung, Verkehr, Kommunalfinanzierung sowie durch die Präsenz vor Ort zu schaffen.