Von Charles Prince of Wales stammt der Satz: „Viele Dinge, die wir heute aus dem Fenster werfen, werden wir noch schmerzlich vermissen“. Das trifft sich mit dem globalen Trend des Upcycling, auch „Vintage“ oder „Shabby Chic“. Im Unterschied zum Recycling suchen Kreative nach Wertsteigerung in der Weiterverarbeitung. Die Potsdamer Künstlerin Julia Theek hat sich dem Thema verschrieben, mit Ausstellungen, einem upcycling-art.blog und einer Sommerakademie, in der verschiedene Kunsttechniken in Verbindung mit upcycling unterrichtet werden.
Ein Pferdekopf mit Perlmuttknöpfen, eine ehemals beschädigte Vase voller Griffe, Henkel oder Scherben von Industrieporzellan, eine Trompete mit einem bronzenen halben Fenstergriff – die Skulpturen erzählen schon durch ihr Material Geschichten. „Anfangs hielten viele Leute Upcycling für eine Art Bastelstunde“, erinnert sich Julia Theek, die nach dem Ästhetik-Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin als Regisseurin für verschiedene Fernsehsender arbeitete und u. a. von 1999 bis 2009 die Schlössernacht als Projektleiterin der Schlösserstiftung entwickelte. Sie stellt seit 1988 aus und nahm an der inzwischen berühmten Scheunenviertelausstellung „37 Räume“ teil. Kunsttechniken erlernte sie früh bei ihrem Großvater, dem Künstler Paul August, Mitbegründer der Potsdamer Landesmalschule. Die Großmutter war eine begnadete Schneiderin, die es schaffte, mit aufbewahrten Stoffresten, Spitzen und Stickereien aus den 1920er-Jahren einmalige Kleider zu nähen. „Ich bekam in der DDR ein Gefühl für gutes Material und erlebte, dass ‚Vorkriegsware‘ oft schöner aussah und besser hielt als die Neuproduktionen. Und jetzt verstärkt sich das Gefühl, dass viel Massenware aus Fernost kommt, die nur gerade so den Garantiezeitraum aushält.“"
Die Aus-Alt-mach-Neu-Methode hat auch in der Kunst Tradition, bei den Dadaisten und später bei den Surrealisten trieb sie originelle kreative Blüten, Picasso schuf aus Fahrradlenkern und Sätteln Stierköpfe. Beim Upcycling geht es dabei auch um Nachhaltigkeit, denn immer mehr Menschen wehren sich gegen billige Wegwerfprodukte und fordern reparierbare Produkte mit einer langen Lebensdauer. Längst nutzen auch Unternehmen Upcycling, um ihre Firmengeschichte zu erzählen. Die Zusammenarbeit mit Julia Theek beginnt meist mit: „Gucken wir doch mal, was Sie schon haben.“ Dann beginnt das Stöbern nach interessanten Artefakten, von alten Rechnungen oder Werbematerial bis zu Laborinstrumenten und Maschinenteilen, nach Gegenständen, die schon Geschichte haben und in der Kunstinstallation eine neue erzählen. „Viele berichten, dass diese ‚corporate art‘ als Vitrine oder Wandgestaltung nicht nur die Identität verstärkt, sondern oft ein lockerer Anfang für generationsübergreifende Gespräche unter Kollegen und Smalltalk mit Kunden sind“, berichtet die Künstlerin. „Und dann wird fotografiert für social media, das ist beste kostenlose Werbung.“
Im Jahr 2012 gründete Julia Theek mit ihrem Ehemann in Lübz an der malerischen Mecklenburger Seenplatte die Sommerakademie „Lübzer Kunstspeicher“, die Workshops und Kunsttechniken anbietet, Gästehaus und Eventlocation ist. Für die Gäste stehen 12 Zimmer mit Bad en suite bereit – eines schöner als das andere und meist upgecycelt. „Viele Künstler vereinen hier ihre Expertise“, berichtet Julia Theek, die selbst hauptsächlich mit Airbrush arbeitet, aus der „Kanne“ und mit Spritzpistolen sprüht. Beim Kreativurlaub mit Gleichgesinnten in Lübz ist viel Raum für Kreativität. Mit der Künstlerin Luisa Landsberg bauen die Kursteilnehmer Assemblagen und Rahmen, mit Bettina Schilling Reliefs aus Linoleum und mit dem Bildhauer und Goldschmied Michael Voss werden antike oder defekte Schmuckstücke aufgearbeitet. Im Juli gibt es auch einen Gemeinschaftskurs von Julia Theek und der preisgekrönten Kalligraphin Birgit Nass, in dem Schreib- und Upcyclingtechniken zu Collagen verbunden werden. Alte Fotos, Stehrumchen, defekte Antiquitäten und andere Dinge, die einfach zu schade zum Wegwerfen sind, werden in Lübz neu in Szene gesetzt. Die Kurse enden immer mit einer Ausstellung. „Gemeinsam mit den Künstlern kann man neue Techniken probieren und sich quasi weiterbilden.
Zugleich inspiriert man sich gegenseitig, egal ob Laie oder Profi“, so Julia Theek. Dazu bieten die drei denkmalgeschützten Gebäude mit Garten am Nebenarm der Elde als idyllisches Refugium in der Lübzer Altstadt ideale Bedingungen. Die Räume sind so anmutig, dass ein italienisches Modelabel sich entschied, den Kunstspeicher zum Ort für ein Fotoshooting zu wählen.
Das Thema in diesem Sommer ist „Cycling und upcycling“, schließlich ist die Landschaft der hügeligen Endmoräne eine beliebte Radfahrgegend. Julia Theek berichtet, dass gerade in der Stadt eine Produzentengalerie für upcyclingbasierte „Zirkuläre Kunst“ entsteht, dazu wird es eine online-Galerie und Pop-up-Ausstellungen geben. Zu ihren Wegen, Erkenntnissen und Erfahrungen schreibt sie gerade an einem Buch, das auszugsweise vorab im www.upcycling-art.blog erscheint. Das ist dann freilich ganz neu.