Die Strecke von Frankfurt (Oder) bis zum ersten Tritt auf der Insel Usedom auf dem Oder-Neiße-Radweg ist exakt 264,7 Kilometer lang. Die beiden Berliner Rechtsanwältinnen Anja Smettan-Öztürk und Angela Kuster absolvierten die Distanz in diesem Sommer zum dritten Mal. Was nimmt man mit von einer solchen Tour, ddie leicht auch zur Tortour werden kann?
Die Tortour kündigte sich schon vor der ersten Pedalumdrehung an, denn als die beiden sportlichen Anwältinnen an diesem Julimorgen in den Regionalzug steigen, zeigt das Thermometer bereits 25 Grad. Der Wetterbericht prophezeit Rekordhitze und Saharawinde. Er sollte Recht behalten. „Wir freuen uns jedes Mal auf unsere gemeinsame Zeit abseits von Alltag, Akten und Terminen“, berichtet Anja Smettan-Öztürk. Die beiden Rechtsanwältinnen verbindet viel mehr als die gemeinsame Arbeit: Sie lernten sich im Referendariat kennen, beendeten im gleichen Jahr ihr Studium, wurden zur selben Zeit schwanger, haben ihre Kanzleien im gleichen Haus, sind beste Kolleginnen und beste Freundinnen. Als Expertinnen für Reise- und für Tourismusrrecht, Vertrags- und Luftverkehrsrecht können sie unterwegs den fachlich-geschulten Blick nicht völlig ablegen, „aber im Vordergrund steht natürlich das Erleben der Landschaft, das Genießen der Ruhe und die körperliche Herausforderung“, so Angela Kuster. Die Herausforderungen begannen ziemlich schnell, denn an diesem Tag hatten fast alle Kioske und Restaurants zwischen Frankfurt (Oder) und Letschin geschlossen. Die Hoffnung: die leckere Küche von Helga und Marcel im Radler’s Hof, Zelliner Loose. "
Doch die Gesichter der beiden Radlerinnen wurden nach gut 60 Kilometern bei 36 Grad im Schatten (und den gibt es auf dem gut ausgebauten Radweg am Oderufer kaum) lang, denn am Mittwoch bleibt im gastlichen Haus im naturverträumten Oderbruch die Küche (auch die Außenküche) kalt. Herbergsmutter Helga Kuck verwies darauf, dass sie diesen freien Tag extra vor Saisonbeginn mit den Gastgebern der Region abgestimmt hätten … Aber eine Brotzeit gab’s natürlich trotzdem noch und eine Nacht in himmlischer Ruhe. Der nächste Tag führte von Letschin durchs Untere Odertal bis Mescherin in der Uckermark. „Der Weg durch eine der letzten noch in Mitteleuropa vorhandenen naturnahen Flussauen im Unteren Odertal ist großartig. Wir blieben immer wieder stehen und bestätigten uns gegenseitig, wie schön es hier ist “, erinnert sich Anja Smettan-Öztürk. Und sie berichtet, dass auch auf diesem Streckenabschnitt die mitgenommenen Vorräte lebenswichtig werden. Einzige leckere Ausnahme: der fantastische Eisladen in Gartz – die Villa Oderblick, ein Highlight, das sogar manchen Anwohner mehrfach täglich anzieht. „Für uns das beste Eis auf der ganzen Tour“, so das kollektive Urteil. Lag’s an der großen Hitze oder am frühen Ferienbeginn in Berlin und Brandenburg in diesem Jahr? „Wir hatten den Eindruck, dass in dieser Zeit weniger Radlerinnen und Radler unterwegs waren und dass es auf langen Etappen keine gastronomische Versorgung gibt. Von Wasserstationen und Toiletten mal ganz abgesehen“, fasst Anja Smettan-Öztürk zusammen. Eine Wahrnehmung, die auch viele in- und ausländische Nutzer des R1, die nicht selten verschiedene europäische Radwege erfahren hatten, bestätigten.
Wer sich für Land und Leute interessiert, sollte ab und an den asphaltierten Radwanderweg verlassen und die ausgeschilderten touristischen Ziele besuchen, wie den Geologischen Garten in Stolzenhagen, den Stolper Turm, die gotische Backsteinkirche in Gartz (Oder) oder Schloss und Freilichtmuseum in Penkun. Nach vier Tagen und vielen Begegnungen lag auf der letzten Etappe die Fähre über das Stettiner Haff zur Insel Usedom. „Zum ersten Mal für uns waren auf diesem Schiff frühmorgens nur Menschen, die den R 1 bewältigt hatten. Acht Männer und Frauen aus drei Generationen und jeder von ihnen hatte eine spannende Geschichte zu erzählen: von wiedergefundener Liebe und Tango, von Lebensrettung und Wandern auf dem Jakobsweg. Das war für uns wie eine Belohnung für 264,7 Kilometer“, so Anja Smettan-Öztürk. Und am Ziel? „Schon auf dem Weg übers Stettiner Haff freuten wir uns auf das Wellness-Hotel in Bansin: auf duftende Bäder, entspannende Massagen und Nichtstun“, berichtet Angela Kuster. „Aber als wir das alles hatten, drehten sich unsere Gespräche ganz schnell um die Erlebnisse auf der Tour. Und wir wissen: Solche Erfahrungen schweißen zusammen und helfen, den Alltagsstress zu bewältigen.“
Aufgeschrieben von Brigitte Menge
www.oder-neisse-radweg.de
www.ra-berlin-charlottenburg.de