Eigentlich war Michael Wickert nur auf der Suche nach neuen Angelgewässern in der Uckermark, um dem Lärm und der Unruhe Berlins zeitweise entfliehen zu können. er fand mehr.
An diesem Spätsommertag zeigt die Uckermark mit Feldern, die den Himmel am Horizont berühren, knorrigen Weiden an Kopfsteinpflasterwegen, grünen Wiesen mit Kühen, Felder voller Sonnenblumen, Seen, die sich zwischen die Hügel schmiegen, und schmucken Backsteinkirchen ihre Schönheit, als seien wir zum Fotoshooting verabredet. „Ich hänge nur schnell ein paar Fische in den Rauch, dann hab‘ ich Zeit zum Reden.“ Routiniert nimmt Michael Wickert die Forellen aus der Salzlake, in der ein Bündel wilder Majoran und Salbei schwimmt, hängt sie an den Haken und schließt die Tür des Räucherofens, in dem Holz von Kirschbaum und Erle lodert, später kommen noch Buchenspäne ins Feuer. „Das dauert jetzt so ungefähr 50 Minuten“. Warum gerade die Uckermark? Bereits während des Studiums kam er mit einem Kommilitonen oft an den Wochenenden Gein die Gegend. Die Ruhe erinnerte ihn an seine Heimat am Bodensee und die vielen Seen boten den beiden Studenten der Fischereiwissenschaft – exakt heißt der internationale Studiengang „Aquaculture and Fishery Sciences“ – reichlich Gelegenheit zum Angeln und zum Fachsimpeln über nachhaltige Fischereiwirtschaft, Gewässerökologie, Fischzucht. Themen, die Michael Wickert noch immer bewegen und umtreiben. Nach dem erfolgreichen Studienabschluss zog es ihn in die große weite Welt: Australien, Brasilien und Südafrika. Nördlich der Champagne leitete er mehrere Jahre eine Forellenzucht. „Aber dann wuchs da diese Sehnsucht nach Berlin“, erinnert sich der Räuchermeister. Er kam in eine Stadt zurück, in der kulinarische Trends nicht nur aufgegriffen, sondern auch gesetzt wurden. Erfahrene Köche und junge Wilde agierten mit Experimentierlaune, Weltoffenheit und Leidenschaft für Qualität – ein Lebensgefühl und ein Arbeitsklima, das den Nerv des Fischermanns traf. Er absolvierte ein Praktikum bei Billy Wagner und Marco Müller in der Weinbar Rutz und gehörte 2012 mit seiner Fischveredlungsmanufaktur zur Gründer-Generation der Markthalle Neun in Kreuzberg, die zeigte, wie „anders Essen“ funktioniert. Am Stand von „Glut & Späne“ gab es nicht nur Fischdelikatessen, traditionelle und neu interpretierte Räucherfischspezialiäten, sondern immer auch Gespräche über die Herkunft des Fisches, die schonende Verarbeitung und Qualitätskriterien."
Und wann und wie kam die Uckermark erneut ins Spiel? „Am 1. Januar 2015 stand ich zum ersten Mal auf dem zugewucherten Gelände der alten Schlossgärtnerei in Gerswalde mit dem imposanten Schornstein und plötzlich wusste ich, dass nun die Karten noch einmal neu gemischt werden“, erinnert sich der Räuchermeister. Was folgte, war jede Menge Arbeit, deren Aufwand sich erahnen lässt, wenn man heute auf das große Gelände kommt. Gleich neben Michas Refugium mit moderner Küche, Räucherofen und überdachter Terrasse entsteht im ehemaligen Gewächshaus ein Café. An den Terrassenhängen der 300 Jahre alten Schlossgärtnerei bauen Marie, Martin, Hiroko, und Johanna Gemüse, Blumen und jede Menge Kräuter an. Die Obstbäume tragen Pflaumen, Äpfel, Birnen und Pfirsiche.
Micha hat gut zu tun. Immer samstags ab 12 Uhr gibt es in der Landräucherei Uckermark frischen Räucherfisch, sauer eingelegten Fisch (unbedingt probieren) und in der kalten Jahreszeit Fischsuppe. Wer da ist, sollte nach Wein fragen, denn das ist eine zweite große Liebe von Michael Wickert, seinen Empfehlungen kann man vertrauen. Ganze Familien und Teams kommen nach Gerswalde, um bei Micha das Räuchern zu lernen, Dorfspaziergang inklusive. Gerswalde hat eine sehenswerte Wasserburg, eine schmucke Feldsteinkirche und ist mit Marktplatz, Supermarkt, Apotheke und Friseur ein lebenswertes Dorf, dessen Einwohner gern auf eine Portion Räucherfisch und einen Schwatz bei Fischmann Micha vorbeischauen. Der Fisch, den Michael Wickert verarbeitet, kommt von vier verschiedenen Fischern der Umgebung. „Ihre wirtschaftliche Lage ist nicht einfach, allein von der Fischerei können sie kaum leben“, berichtet er nachdenklich. „Manche bieten zusätzlich zu ihrer harten Arbeit Feriendomizile an.“ Schließlich war und ist die Uckermark stets ein Rückzugsort für Künstler, Schriftsteller und stressgeplagte Großstädter. Offensichtlich auch ein guter Ort für Menschen, die in Manufakturen das verarbeiten, was hier gedeiht. „Wir kennen uns alle.“
Die Forellen sind fertig. Nur noch kurz abkühlen lassen, und dann ist das Essen des milden, saftigen, goldgelben Fisches angesagt. Micha verabschiedet sich: „Ich muss in die Küche, denn ich habe morgen ein Catering.“ Seine köstlichen Fischplatten oder Fisch als Streetfood lieben Feinschmecker und Eventgäste. Bleibt angesichts der Meldungen über leergefischte Meere die laienhafte Frage, ob denn das vielleicht auch hier … Micha schaut kurz auf, ehe er antwortet: „Die Uckermark hat knapp 500 Seen und es gibt viele, die darauf achten, dass es der Natur hier gutgeht.“