Im ausgehenden 19. Jahrhundert kamen vor allem Berliner hierher, wenn sie die „Motten“ hatten. Nach dem 2. Weltkrieg befand sich in Beelitz-Heilstätten das größte Lazarett der Roten Armee auf deutschem Boden. Heute wächst hier neues Leben, das die Historie des Ortes pflegt und Raum für Neues öffnet.
Tom Cruise war schon hier. Und die Macher der Erfolgsserie „Homeland“. Rammstein drehte hier. Kein Wunder, denn die villenartigen, verfallenden Gebäude mit ihrer beeindruckenden Architektur inmitten einer intakten Waldlandschaft versprühen den melancholischen Charme eines verlorenen Ortes. Als der Projektentwickler Jan Kretzschmar im Jahr 2013 eher zufällig auf dem weiten Areal im Süden Berlins war, „hat es mir die Seele zerfressen, das verfallen zu sehen.“ Wohl schon an diesem Herbsttag entstand der Wunsch, die Gebäude mit ihren imposanten Treppenaufgängen, verwinkelten Türmchen, soliden Säulen, langen Fluren und hohen, lichtdurchfluteten Sälen wiederzubeleben."
Als er diesen Gedanken aussprach, meldeten sich die Zweifler, denn der Leerstand und der massenhafte Diebstahl von Kupferblechen von den Dächern in den letzten zehn Jahren hatten die Gebäude bis in die Grundmauern angegriffen. Zudem weiß jeder Baufachmann, was es heißt, in einem der größten Denkmalschutzgebiete des Landes Brandenburg zu agieren. Doch während andere noch die Risiken diskutierten, suchte Jan Kretzschmar, Geschäftsführer der KWDevelopment GmbH, den Kontakt zu den genehmigenden Behörden, sprach mit Architekten und Planern. Die erste Idee waren Ateliers für Künstler und Kreativräume. Doch als die ersten potenziellen Nutzer Terrain und Gebäude begutachteten, hörte Projektentwickler Kretzschmar, der 15 Jahre bei Kondor Wessels Erfahrungen rund um die Entwicklung und Umsetzung von Projekten wie „Richards Garten“, „Schweizer Viertel“ oder „The Charleston“ gesammelt hatte, immer häufiger den Satz: „Wir wollen hier wohnen“. Also umdenken. Die ersten drei Gebäude, die die KW-Development GmbH anfasste, waren die ehemalige Küche, die ehemalige Wäscherei und der Pavillon des Frauensanatoriums. Entstanden sind 57 individuelle Wohnungen, die eine Mischung aus Märchenschloss und Kulisse für Home-Stories von Design-Zeitschriften sind. Kein Raum gleicht dem anderen. „Die Nachfrage für Kauf und Miete übertraf alle unsere Erwartungen“, resümiert der Bauherr, der beim Rundgang auf die vielen Details aufmerksam macht: die als Liegebereiche gebauten großzügigen Terrassen, originale Fliesen von Villeroy & Boch aus dem Jahr 1890, 130 Jahre alte Fenster, gut erhaltene Eisenträger (wer genau hinschaut, entdeckt noch den Einschlag von Geschossen), schmückende Elemente … „Man braucht für solche Projekte immer auch die Firmen, die ein Händchen dafür haben.“ Wer lebt heute hier? „Menschen, die Natur zum Leben brauchen und neben der Individualität auch schätzen, dass es Gemeinschaft gibt. Leute, denen wichtig ist, dass hier ein Ort ist, der Geschichte hat und bewahrt.“ Im ausgehenden 19. Jahrhundert entstanden in der Nähe von Beelitz auf rund 200 Hektar die Heilstätten für Menschen, die an Tuberkulose erkrankt waren. Ärzte schickten vor allem die Berliner aus den Mietskasernen ins Grüne zum Durchatmen. Hinzu kam eine gesunde, vollwertige Ernährung. Es entstand Deutschlands modernstes Sanatorium und eine kleine Stadt mit Bäckerei, Fleischerei, Freibad, Freiluftbädern und vielem mehr. Die Güter wurden mit Elektrofahrzeugen transportiert, um die Luft nicht zu belasten. Ein Blockkraftwerk sorgte für Wärme. „Diesen so modernen Ansätzen, die 130 Jahre alt sind, fühlen wir uns verpflichtet“, erklärt Jan Kretzschmar.
Zwischen Marktplatz und Badesee
Die Spargelstadt, der Baumkronenpfad, ausgebaute Wanderwege, der Radweg R1, viel Natur und die ausgezeichnete Verkehrsanbindung machen Beelitz-Heilstätten zu einem beliebten Ausflugsziel. Die Regionalbahn R7 hält hier (auch der frisch sanierte Bahnhof ist 130 Jahre alt), zur Autobahn A 9 sind es knapp zwei Kilometer. In den neuen Reha-Kliniken auf dem Gelände arbeiten schon heute 1.200 Menschen. Im Jahr 2016 kaufte der Landkreis Potsdam-Mittelmark ein Grundstück in den Heilstätten, auf dem ein neuer Verwaltungsbau entstehen könnte.
Jan Kretzschmar kennt die Sehnsucht vieler Menschen, im Grünen leben zu wollen. Aber eben nicht in einer gesichtslosen Siedlung am Stadtrand, sondern in einem Areal mit einer hohen Lebensqualität. Ergebnis seiner Überlegungen rund um dieses Thema ist ein neues Wohngebiet inmitten der waldreichen Natur nördlich der Straße von Beelitz nach Fichtenwalde. „Es ist eine ganz besondere Lage, denn wir binden die Gebäude der ehemaligen Lungenheilstätte für Frauen und die für die Männer sowie die weiteren denkmalgeschützten Häuser in das neue Wohngebiet ein. Neu entsteht eine Stadt im Wald, die sich an die Gegebenheiten der Natur und die ehemalige Heilstättenstruktur anpasst“, erklärt der 46-Jährige. Gebaut werden auf rund 50 Hektar zweigeschossige Bauten, Einfamilien- und Landhäuser, deren Stil an Siedlungen der 1930er-Jahre erinnert: roter Klinker, gelber Putz, rotes Dach. Jeder hat einen kleinen Garten, doch der Wald zwischen den Häusern gehört allen. „Das soll eben keine Schlafstadt werden. Die Architektur wird ihren Beitrag leisten, damit eine lebendige Gemeinschaftskultur wachsen kann.“ Deshalb wird es auch Gemeinschaftsräume geben und viel Leben rund um den Marktplatz. Hier entstehen Supermarkt, Ärztehaus, Kita, eine zweigeschossige Grundschule mit Sportplatz und Hort sowie Einrichtungen für betreutes Wohnen. Ein ehrgeiziges Projekt ist die geplante Markthalle, in der vor allem die Erzeugnisse der Region vermarktet werden sollen. Die Wege durch die neu entstehende Waldstadt sind – wie vor 130 Jahren gebaut – geschwungen.
Dass gerade für Berliner das Wohnen im Wald eine verlockende Alternative ist, hat auch die Deutsche Bahn erkannt. Sie lässt ihre Regionalbahn 7 daher ab dem Jahr 2021 zu den Stoßzeiten voraussichtlich im Halbstunden- Takt in Beelitz- Heilstätten halten, zudem soll auch die Zugkapazität erweitert werden. Von hier aus ist man in knapp 30 Minuten am Bahnhof Zoo. Die Energie für das ganze Gebiet entsteht in eigenen Blockheizkraftwerken. Ladesäulen für Elektroautos gehören zum Standard, schließlich fuhr man hier schon vor über 100 Jahren so umweltfreundlich.
Eines der Lieblingsprojekte von Jan Kretzschmar, der mit seiner Firma viel Erfahrung im Bau städtischer Quartiere hat, ist der See, der am östlichen Rand neu entstehen soll. Mit derzeit geplanten zwei Hektar Wasserfläche auch nicht gerade ein Dorfteich. Eine gute Antwort für all die, die fragen: „Und wo kann man hier baden?“ Ganz einfach: direkt vor der Tür!
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