Wohin geht es mit der Lausitz? Der Braunkohlebergbau, von dem die Region lebt, wird eingestellt. Der Tourismus allein kann es nicht reißen. Der Potsdamer Unternehmer Torsten K. Bork soll den wirtschaftlichen Wandel maßgeblich mitplanen, organisieren und umsetzen. Am 1. September übernahm er die Geschäftsführung der „Wirtschaftsregion Lausitz GmbH“, einer landesübergreifenden Planungs- und Steuerungsplattform, in der sechs Landkreise in Brandenburg und Sachsen sowie die kreisfreie Stadt Cottbus arbeiten.
War es Ihnen bei der Übernahme der Funktion bewusst, wie umfangreich und vielschichtig die Aufgabenstellung ist?
Ja. Ich habe natürlich im Vorfeld sehr genau überlegt und mich mit Freunden beraten. Von fast allen Seiten bekam ich Zuspruch. Unter denen, die mich bestärkten, war übrigens auch Manfred Stolpe.
Was verbirgt sich hinter der „Wirtschaftsregion Lausitz“?
Grundlage ist der politisch motivierte und demokratisch legitimierte Entschluss, die Förderung und Verstromung von Braunkohle zu beenden. Es ist nicht meine Aufgabe, das zu kommentieren. Als der Prozess eingeleitet wurde, stand die Frage, wie man sich in der Region dazu aufstellen kann. Unter Mitwirkung der Landesregierungen in Dresden und Potsdam entstand der Plan, eine Plattform zu schaffen, die künftige Entwicklungen strukturiert und den Wandel gestaltet – ein durch sechs Landkreise und eine kreisfreie Stadt demokratisch legitimiertes Instrument. Diese Plattform arbeitet länder- und landkreisübergreifend, in Zusammenarbeit mit den beiden Landesregierungen und unter dem Blick aus Berlin.
Für die meisten Brandenburger endet die Lausitz gleich hinter Senftenberg und Spremberg.
Das erstaunt mich immer wieder, wie tief verwurzelt diese Vorstellung bei vielen Menschen ist. Die Lausitz ist Lebensraum für 1,1 Millionen Einwohner und umfasst 235 Gemeinden auf einer Fläche, die vier Mal so groß wie das Saarland ist. Sie beginnt im Norden an der südlichen Stadtgrenze Berlins und reicht bis Zittau und Radeberg, die Ost-West-Ausdehnung geht von Görlitz bis Mühlberg/Elbe. Für mich ist die Lausitz eine europäische Zukunftsregion – das ist die Chance.
Gibt es deutschlandweit vergleichbare Projekte, die einen Strukturwandel einleiten und begleiten?
In dieser Größenordnung kenne ich es nicht. Regionen wie Halle/Leipzig oder das Rheinische Revier haben ganz andere Startvoraussetzungen für den Strukturwandel. Die Besonderheit der Lausitz ist die nicht vergleichbare schwierigere Ausgangssituation. Hier reichen Anreiz, Förderung und Geld für einen Strukturwandel nicht aus. Die Rahmenbedingungen – also Infrastruktur und wirtschaftliche Erschließung – sind ungleich schlechter. Die Wertschöpfung pro Arbeitsplatz ist außerhalb derer, die in der Braunkohle arbeiten, geringer. Wenn man so einen bestimmenden Faktor wie die Braunkohle hat und den substituieren will, muss man sehr genau die Auswirkungen auf die restlichen vorhandenen Strukturen betrachten. So ergeben sich zwei grundsätzliche Fragen: In welche Richtung soll der Strukturwandel gehen und wie schafft man an den vielen Standorten Voraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklung?
Was waren die ersten Schritte der neu entstandenen Gesellschaft?
Ich kann nur für die Zeit nach dem 1. September sprechen. Mein erster Besuch in der Lausitz führte zu Christine Herntier, Bürgermeisterin der Stadt Spremberg – die von der Entwicklung besonders betroffen ist – und Sprecherin der „Lausitzrunde“, die eine eigene Historie hat. Der Blick der unmittelbar betroffenen Kommunen ist in diesem Prozess sehr, sehr wichtig und die Plattform Wirtschaftsregion Lausitz, die die Region als Ganzes sieht, braucht ihn für die demokratisch legitimierte Aufgabe, Braunkohleverstromung zu substituieren. In diesem Prozess gibt es zwei natürliche, bestimmende Steuerungsgrößen: Die eine heißt Energieversorgungssicherheit angesichts eines steigenden Energiehungers der Wirtschaft und die andere heißt Netzstabilität. In diesem hochsensiblen und komplexen System kann man nicht beliebig zu- oder abschalten.
„Die Aufgabenstellung ist eine Chance.
Wir spielen nicht gegen den Abstieg,
sondern sind angetreten, den Anschluss
an die Champions League zu schaffen.“
Dennoch müssen Sie in Zeiträumen planen, in welchen?
Ein Zeitraum von 2035 bis 2045 als Ausstiegsdatum; bis 2050 ff. als langfristiges Planungszeitfenster. Das bedeutet, dass alles, was wir heute beginnen, die Generation umsetzen und vollenden wird, die jetzt in Kita oder Schule geht, eine Ausbildung absolviert oder studiert.
Welche emotionalen Reaktionen begegnen Ihnen, wenn Sie unterwegs sind – schließlich geht es um Existenzen und Zukunft einer ganzen Region?
Die Aufgabenstellung ist eine Chance. Wir spielen nicht gegen den Abstieg, sondern sind angetreten, den Anschluss an die Champions League zu schaffen. Die Skepsis nach den Erfahrungen der letzten 30 Jahre sitzt tief. Sie ist berechtigt, denn es betrifft 100.000 Menschen unmittelbar. Das beschreibt auch die Herausforderung, Arbeitsplätze mit einer mindestens gleichrangigen Wertschöpfung zu schaffen.
Stichwort Perspektiven.
Viele der heute in der Braunkohle Arbeitenden wissen, dass sie nicht ins Bodenlose fallen werden und sozial abgesichert sind. Wie aber erreicht man ihre Herzen? Nur, wenn sie sicher sind, dass ihre Kinder und Enkel in dieser Region eine sichere Zukunft haben.
Welche Branchen und Projekte sollen entstehen oder sind vielleicht sogar schon geplant?
Wie immer, wenn ein Wirtschaftsraum zu entwickeln ist, geht es um Infrastruktur sowie um Ansiedlung zwischen Neugründung und Weiterentwicklung. In der Lausitz wird gegenwärtig ein handfestes Zeichen erwartet. Und das wäre beispielsweise der Umzug von Bundes- und Landesbehörden. Warum sollen die Landesrechnungshöfe nicht in Cottbus und Bautzen sitzen? Ein Zeichen wären auch die An- und Umsiedlung oder die Erweiterung von Forschungseinrichtungen oder die Errichtung einer Batteriefabrik. Investoren kommen erfahrungsgemäß erst dann, wenn die Rahmenbedingungen vorhanden sind, also vor allem die Verkehrs-Infrastruktur und Bildungseinrichtungen. Die Lebensqualität in der Lausitz ist hoch. Das hat so manche junge Familie aus der Großstadt schon entdeckt. Ich bin mir sicher, dass die Berliner Baulöwen das bald nutzen.
Werden Wunder von Ihnen erwartet?
Wir können natürlich nicht gleichzeitig die Tagebaue, den Transport und die Verstromung beenden und dann zeitgleich an diese Stellen die großen Investoren dieser Welt hinsetzen. Die Entwicklung muss in der gesamten Lausitz stattfinden. Das braucht den Blick auf die ganze Region und deshalb ist die Plattform so wichtig. Ich lade jeden zu einer kooperativen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit ein und biete jedem an: Nutzt dieses Instrument zur Durchsetzung eurer Interessen, wenn wir dadurch die gewünschte gleichgerichtete Bewegung erzeugen. Diese gleichgerichtete Bewegung sehe ich als eine meiner Aufgaben an, für die ich Verantwortung übernommen habe. Ich bin zu einem Marathonlauf gestartet und nehme auch Menschen wahr, die am Rand stehen und nach 100 Metern die Zeit stoppen und die als schlechte Zeit bewerten. Aber es ist ein langer Lauf. Wir sind auf einer Marathonstrecke unterwegs.
Die Wirtschaftsregion Lausitz hat Büros in Brandenburg und in Sachsen. Und in Brüssel?
Ein Verbindungsbüro bei der EU in Brüssel ist in Vorbereitung. 41 Reviere in Europa stehen vor ähnlichen Herausforderungen und wichtige Entscheidungen werden in Brüssel vorbereitet und getroffen.
Torsten K. Bork
Geschäftsführer der Wirtschaftsregion Lausitz GmbH
• Der Potsdamer studierte Informations- und Rechtswissenschaft sowie Betriebswirtschaftslehre.
• Er ist Medien- und Kommunikationswissenschaftler, der als selbstständiger Politik- und Unternehmensberater in Potsdam, Berlin und Brüssel arbeitete.
• Der 53-Jährige engagiert sich als universitärer Lehrbeauftragter, nimmt ausgewählte Verwaltungs- und Aufsichtsratsmandate wahr und übt verschiedene Ehrenämter in den Bereichen Soziales, Sport und Kultur aus.
• Er ist verheiratet und Vater von vier Kindern.
www.wirtschaftsregion-lausitz.de