Grünkohl-Pinkel, Schoko-Chili, Dattel-Lebkuchen … bei Holger Schüren widerspiegeln sich die Jahreszeiten in der Backstube. In der kleinen Gemeinde Gräbendorf, die zum Landkreis Dahme- Spreewald gehört, verwirklicht Brandenburgs erster Brotsommelier gemeinsam mit Ehefrau Jana ein Konzept, für das die beiden Meister den Titel „Bäckeraunt“ erfanden.
Der Tag begann für Holger Schüren früh. Gegen 2 Uhr betrat er an diesem Herbstfreitag seine Backstube, in der es Stunden später verführerisch nach frischem Brot duftet. „Teig braucht Zeit“, erklärt der Bäckermeister und Konditor eines der simplen Geheimnisse handwerklich gefertigten Brots, zu dem in der Grundversion lediglich Sauerteig, Salz und Wasser gebraucht werden. Die Lust am Experimentieren, am Erfinden immer neuer Brotsorten gehört für ihn zu seinem Handwerk wie Bäckermütze und Waage. Gestärkt wurde diese kreative Ader während seiner einjährigen Ausbildung zum Brotsommelier an der Bundesakademie des Bäckerhandwerkes im baden- württembergischen Weinheim, die er als eine der Ersten erfolgreich absolvierte. Inzwischen kann und mag er gar nicht mehr zählen, wie viele verschiedene Brotsorten aus seiner Backstube kamen. „Hier riechen Sie mal!“ Holger Schüren bricht das Brot entzwei und der Duft von warmer Schokolade umschmeichelt die Nase. Beim Probieren kommt eine sanfte Schärfe von Chili hinzu. „Die Kombinationsmöglichkeiten sind nahezu unbegrenzt“, erklärt Holger Schüren, der vor allem auf regionale Zutaten wie verschiedene Kräuter- und Obstsorten, Kohl oder Nüsse setzt. Oder auf in Vergessenheit geratene Beigaben wie Schabzigerklee. „Der sorgt für eine zarte Heunote. Auf dem Brot schmecken dann am besten Butter und Käse“, rät Holger Schüren. „Dieser Erfindungsreichtum ist ein Alleinstellungsmerkmal von uns traditionellen Bäckern, denn solch spezielle Produkte können eben nur wir“, weiß der Meister, der sogar zu diplomatischen Ehren kam, denn als „Genuss- Botschafter“ von pro agro setzt er sich für den Erhalt der deutsche Brotkultur als immaterielles Kulturerbe ein, schließlich ist die Brot-Vielfalt Made in Germany weltweit einmalig. „Und das soll auch so bleiben“, mahnt er. Schon kommen Kunden in das „Bäckeraunt Zum Brotsommelier“ und fragen als erstes, was es denn Neues gibt. Das ringt Holger Schüren stets ein Lächeln ab, denn schon in den zehn Arbeitsjahren von „Ihre kleine Backstube“ in Nuthetal erfreute ihn diese Frage immer wieder. Als der Vermieter in den Jahren 2016/17 das Aus für den florierenden Handwerksbetrieb durchsetzte, nahm Holger Schüren das Angebot der Bundesakademie des Bäckerhandwerkes in Weinheim an, um sein Wissen und Können dem Berufsnachwuchs weiterzugeben."
Der Umzug war schon beschlossene Familiensache. Aber ziemlich schnell spürte der Brandenburger an allen Ecken und Enden, dass diese Entscheidung nicht die richtige für ihn war. „Aufgefangen in dieser schwierigen Lebensphase hat mich meine Frau“, bekennt er. Die gelernte Köchin, die im Jahr 2017 ihre Ausbildung zur Meisterin des Bäckerei-Handwerks erfolgreich abschloss, ermutigte ihn zu einem Neuanfang im heimatlichen Gräbendorf. Hier betrieb bereits der Vater von Holger Schüren eine Bäckerei, die heute Bruder Olaf erfolgreich führt. Und so kam es, dass der kleine Ort im Naturpark Dahme-Heidesee gleich zwei Bäckerei- Handwerksbetriebe hat. Anfang 2018 eröffnete dann das „Bäckeraunt“, eine Wortneuschöpfung aus Bäckerei und Restaurant. Und so bietet das gastliche Haus an der Prieroser Landstraße neben der Backwarenvielfalt verschiedene gastronomische Angebote, die sich naturgemäß immer wieder beim Brot treffen. Auch die Ausstattung hat das Paar gemeinsam entwickelt. Anheimelnd die Lümmelecke, sympathisch der große Kinderspielbereich. Im „Bäckeraunt“ kann der Gast frühstücken, der Mittagstisch – es gibt täglich eine frisch zubereitete Suppe, Salat und mindestens ein warmes Gericht – wechselt wöchentlich und „wenn immer möglich, kommt Regionales in die Töpfe und Pfannen“, berichtet die gelernte Köchin, die ihren Mann vor 25 Jahren bei einer Freundin kennen lernte. „Wir bauten gemeinsam einen Schrank auf“, berichtet sie lächelnd. Der Typ, selbst groß und stark wie ein Schrank, gefiel ihr sofort. „Es kommt mir gar nicht wie 25 Jahre vor“, reflektiert die Bäckermeisterin, die zauberhafte Torten kreiert, deren Geschmack genauso überzeugt wie das bildschöne Aussehen. An ihrem Mann schätzt Jana Schüren vor allem die Ruhe. „Er war und ist mein Lebensanker.“
Diese tiefe Zuneigung lässt das Paar die langen und oftmals anstrengenden Arbeitstage überstehen, denn an den Wochenenden gehen im „Bäckeraunt“ erst 20 Uhr die Türen zu. Manchmal auch später, denn Jana und Holger Schüren laden zu eigenen Veranstaltungsformaten rund ums Brot ein. Es geht um Riechen, Schmecken, Probieren und auch um selbst Zubereiten. An diesem Freitagabend wird dazu ein Backofen vor dem Haus beheizt. Die Gäste kommen aus der Umgebung, aber auch weit her, schließlich ist Brotsommelier Holger Schüren inzwischen ein viel gefragter und medienpräsenter Experte rund um Brot. Schon plant das kreative Familienteam neue Veranstaltungsformate wie ein Tortenseminar oder einen Abend zum Thema Brot und Whisky, denn „wir haben vier gute Brennereien im Land Brandenburg“, so Holger Schüren, der mit vielen Genuss-Handwerkern des Landes gut vernetzt ist. Bereits Realität sind Nachmittage, in denen Kinder in der kleinen Gräbendorfer Backstube Teig kneten, verarbeiten und zuschauen, wie aus dem im Backofen Brot oder Brötchen werden. Tief im Inneren hofft Holger Schüren, dass ein bisschen von dieser Begeisterung für sein Handwerk über den Nachmittag hinaus bleibt.