Bogenschießen ist ein faszinierender Sport für Jung und Alt – und für Lisa Unruh.
Es gibt sicher niemanden, der von Robin Hood noch nie etwas gehört hat. Und dann weiß auch jeder, welche Waffe er so meisterhaft beherrschte: Pfeil und Bogen. Ein Robin Hood der heutigen Zeit ist eine Frau. Die Berlinerin Lisa Unruh ist mit Pfeil und Bogen mindestens so treffsicher wie der Held im Sherwood Forest oder der Elb Legolas in Herr der Ringe.
Waffe und Kleidung haben sich im Lauf der Zeit verändert. Den aus den Robin-Hood-Filmen bekannten englischen Langbogen gibt es immer noch, ebenso den Kyudo-Bogen, den schon die Samurai vor mehreren Jahrhunderten als Kriegswaffe benutzten. In neuerer Zeit kamen der Compound-Bogen und der olympische Recurve-Bogen dazu. Das Recurve-Schießen hat sich in den letzten Jahren zu einem immer populärer werdenden Sport entwickelt. Insbesondere Korea, China und viele andere Länder in Fernost verzeichnen Zuwächse. Stabilisatoren, Zielhilfen (Visiere) und Auszugsmarkierungen (Klicker) sind erlaubt. Noch eine Spur futuristischer wirkt der Compound-Bogen, ein Hightech-Gerät vom Feinsten, das direkt aus dem Entwicklungslabor der NASA zu stammen scheint. Aber erfunden wurde der Compound-Bogen, der die Pfeile auf bis zu 380 km/h beschleunigen kann und mit dem man auf 20 Meter ein Cent-Stück trifft (wenn man es drauf hat), schon 1966 in den USA. Ein solches Gerät hat natürlich seinen Preis, für einen Compound-Bogen der Spitzenklasse kann man durchaus auch 1.200 Euro loswerden – wie auch für den Recurve-Bogen. Es sind echte Präzisionsgeräte – und die braucht man auch. Bei Wettkämpfen im Freien sind die Ziele 70 Meter vom Schützen entfernt.
Legte sich vor mehr als 80 Jahren Errol Flynn als erster Robin-Hood-Darsteller im Kino noch mit einer Feder am mittelalterlichen Spitzhut mit seinem bösen Gegenspieler, dem Scheriff von Nottingham, an, so hat auch Lisa Unruh seit einigen Jahren ein echtes Markenzeichen: einen sandfarbenen Fischerhut, der in den Medien bei den Olympischen Spielen vor sechs Jahren in Rio de Janeiro zum Thema wurde. „Hut Couture“ titelte augenzwinkernd die Süddeutsche Zeitung. Die mediale Aufmerksamkeit wäre ihr aber ohne ihre sportlichen Erfolge sicher kaum zuteilgeworden: Nach Gold-, Silber- und Bronzemedaillen bei Welt- und Europameisterschaften holte Lisa Unruh mit Fischerhut am Zuckerhut Silber in der Damenkonkurrenz bei Olympia 2016 in Rio, die erste Olympische Einzelmedaille überhaupt für einen Bogensportler aus Deutschland. Im Vorjahr bei Olympia in Tokio kam Bronze im Teamwettbewerb hinzu. Außer in der Olympischen Sportart mit dem Recurve-Bogen tritt Unruh auch in anderen Disziplinen an, so war sie 2014 in Zagreb Weltmeisterin im Feldbogenschießen für den niedersächsischen SV Loccum.
Die inzwischen 33-Jährige gehört dem Bogensportclub BB-Berlin an, der 1968 als Abteilung Bogenschießen Berlin der SG Bergmann-Borsig e. V. in Pankow gegründet wurde und seit 2011 ein eigenständiger Verein ist. Die erfolgreiche Jugendarbeit des Vereins wurde schon fünf Mal mit dem „Grünen Band für vorbildliche Talentförderung im Verein“ ausgezeichnet, der BSC BB-Berlin ist zu einem festen Bestandteil der deutschen Bogensportszene geworden. Bei jeder Deutschen Meisterschaft räumt der Verein ab.
2016 wurde die in Eigenarbeit erstellte neue Bogensportanlage in der Rennbahnstraße eingeweiht. Der Verein engagiert sich im Behinderten- Reha- und Flüchtlingssport, hat dazu die bisher einzige Blindengruppe im Bogensport und ist Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband. Durch die Angebotserweiterungen konnte die Mitgliederzahl von 66 im Jahr 2011 auf heute über 300 erhöht werden.
Der BSC BB ist einer von rund 20 Vereinen oder Abteilungen in Mehrspartenvereinen, in denen Bogensport betrieben wird, in Berlin. Bogenschießen boomt – und macht Spaß. Mitgliederstarke Klubs wie der Polizeisportverein, der TSV Spandau 1860, die Turngemeinde in Berlin, TSV Lichtenberg oder TSV Wittenau 1896 haben schon lange Bogensportabteilungen. Beim im Märkischen Viertel angesiedelten TSV Wittenau waren wir mal bei einem Training zu Gast und haben uns in die Geheimnisse des Sports einweihen lassen. Und von einem Muskel erfahren, von dem wir nie zuvor gehört hatten.
Bogenschützen sehen nicht aus wie Arnold Schwarzenegger, klar, aber das Spannen der Sehne erfordert schon Kraft. Die kommt vor allem aus dem Rücken. „Da sitzt der Kapuzenmuskel, das ist unser Muskel“, sagte Ingo Schumann, der Vorsitzende der Abteilung im TSV Wittenau. Derweil visierte Karla Friehold das Ziel an. Sie ist mit einigen Berliner und Ostdeutschen Meisterschaften die erfolgreichste Bogenschützin des Vereins. Sie ist Jahrgang 1955 und der beste Beweis dafür, dass man den Sport auch im – Entschuldigung – etwas fortgeschrittenen Alter betreiben und dabei erfolgreich sein kann.
„Bogenschießen kann man in jedem Alter betreiben“, sagt der Chef Ingo Schumann. „Man kann als Kind einsteigen, aber auch als 70-Jähriger, kein Problem.“ Er selbst ist schon lange dabei, seinen ersten Bogen hat er sich 1982 gekauft. Und wo liegt nun die Faszination? „Es ist das Spannungsfeld zwischen großer Anspannung und totaler Entspannung“, sagt Ingo Schumann. „Die besten Ergebnisse erzielt man, wenn man möglichst entspannt ist und an nichts denkt. Und wenn dann der Schuss losbricht und man weiß, dass man ihn gut getroffen hat, kommt eine Art Glücksgefühl auf.“
So wie bei seinem Vereinskollegen Harald. Er hat gerade, als wir im Gespräch mit Schumann sind, einen Pfeil genau in einen anderen geschossen. Das ist ein Robin-Hood-Schuss in der Verfilmung 1991 mit Kevin Kostner in der Hauptrolle wurde das regelrecht zelebriert. Kommt ja auch wahrlich nicht alle Tage vor.